Geldsegen traf indische Politiker

■ Bestechungsskandal in Indien zieht immer weitere Kreise. Hinter Gitter kam bislang aber niemand

Delhi (taz) – „Jeder indische Politiker beginnt seine Karriere mit einer Lüge“, erklärte vor einiger Zeit L.K. Advani, der Präsident der Oppositionspartei Bharatiya Janata Party (BJP). Alle Kandidaten für ein politisches Amt müssen ein Formular unterschreiben, in dem sie sich verpflichten, nicht mehr als eine vorgeschriebene Summe für den Wahlkampf einzusetzen, obwohl sie dieser ein Vielfaches kosten wird. Weil die Politiker des Landes den Mut nicht aufbringen, die Notwendigkeit von Wahlspenden anzuerkennen und das scheinheilige Wahlgesetz zu ändern, sind sie gezwungen, illegale Beiträge entgegenzunehmen. Damit ist der Korruption Tür und Tor geöffnet – denn wer kann entscheiden, was eine Parteispende und was Schmiergeld ist.

Advani wurde kürzlich an dieses Faktum erinnert, als er, zusammen mit sechs anderen Politikern, vom „Central Bureau of Investigation“ (CBI), der indischen Kriminalpolizei, vor dem Obersten Gericht wegen Annahme von Schmiergeldern unter Anklage gestellt wurde.

Der Führer der Opposition, der noch am gleichen Tag zurückgetreten war, befindet sich in ehrenwerter Gesellschaft: neben ihm sitzen ein prominenter Parteifreund, Yashwant Sinha, der ehemalige stellvertretende Premierminister Devi Lal sowie drei ehemalige Kongreßpolitiker auf der Anklagebank. Was die Angelegenheit noch pikanter macht, ist der Antrag auf Amtsenthebung von drei Mitgliedern des Kabinetts von Narasimha Rao, Erziehungsminister Scindia, Landwirtschaftsminister Jakhar und V.C. Shukla, dem Minister für Parlamentsfragen.

Die dramatische Entwicklung kommt um so überraschender, als der Fall schon seit Jahren untersucht wird. Niemand rechnete damit, daß er zu einer Anklageerhebung führen würde, um so mehr, als Namen von Politikern jeder politischen Couleur – außer den Kommunisten – darin auftauchen. Falls man den Geständnissen des Hauptschuldigen, des Geschäftsmannes S.K. Jain, Glauben schenkt, hat er seinen Goldsegen von umgerechnet rund 27 Millionen Mark über nicht weniger als 115 Politiker ausgestreut. Und darüber hatte er gewissenhaft Buch geführt. Diese Liste fiel der Polizei bereits 1991 in die Hände.

Am Montag dieser Woche trat der Parteipräsident der Janata Dal Party, Bommai, zurück, nachdem auch er auf der Namensliste erschienen war.

Die nationalistische BJP hatte am heftigsten auf die Enthüllungen reagiert, denn diese warfen einen Schatten über die sorgfältig vorbereitete Wahlkampagne, welche die Partei ganz auf die Korruption ihrer Rivalin, der regierenden Kongreßpartei, ausgerichtet hatte. In wenigen Monaten wird in Indien gewählt.

Jetzt revanchiert sich die BJP. Ihr Kandidat für die Nachfolge Raos, A.B. Vajpayee, enthüllte vor der Presse, daß Jain auch dem Premierminister direkt oder über Mittelsmänner 1,4 Millionen Mark hatte zukommen lassen. Die Anschuldigungen wurden sofort dementiert, und die beiden Mittelsmänner, Kabinettskollegen Raos, präsentierten für die angegebenen Zeitpunkte stichhaltige Alibis. Dennoch kalkuliert die BJP, daß allein der Verdacht Rao politisch schaden würde, um so mehr, als Rao nicht zum ersten Mal ins Gerede kommt.

In seinen Verhören hat Jain, der neben eigenen mehrere ausländische Firmen vertrat, jedenfalls darauf hingewiesen, daß er sich mit den Spenden wirtschaftliche Vorteile erhoffte. Tatsache ist, daß der größte Teil der Summe Politikern und Topbeamten zufloß, die in den Energie-Ministerien Schlüsselpositionen einnahmen. Bisher haben es die Politiker aller Schattierungen immer fertiggebracht, daß trotz zahlreicher Skandale und über 200 Untersuchungskommissionen noch keiner ihrer Kollegen hinter Gitter gekommen ist. Bernard Imhasly