Nicaraguas Polizei gegen StudentInnen

■ Um einen höheren Haushalt für die Universitäten zu fordern, hatten 300 StudentInnen das Außenministerium besetzt

Mit Knüppeln und Tränengas vertrieb Nicaraguas Polizei gestern früh die 300 StudentInnen, die seit Dienstag das Außenministerium besetzt und Minister Ernesto Leal gefangengehalten hatten. Waren zunächst auch die zufällig anwesenden Botschafter der Philippinen und Pakistans festgehalten worden, so durften diese schon am Dienstag abend das Gebäude verlassen. In den frühen Morgenstunden hatte auch Minister Leal gehen können, nachdem er ergebnislos mit den StudentInnen über ihren Abzug verhandelt hatte. Kurze Zeit später schlug die Polizei zu, die schon die ganze Nacht über das Gebäude umstellt hatte.

Die StudentInnen fordern, den staatlichen Haushaltsansatz für die Universitäten zu erhöhen. Die nicaraguanische Verfassung, auch in ihrer reformierten Fassung vom vergangenen Jahr, schreibt vor, den Universitäten mindestens 6 Prozent der gesamten Staatsausgaben zur Verfügung zu stellen. Der aktuelle Haushalt allerdings weist den Universitäten lediglich rund 4,2 Prozent der Ausgaben zu, umgerechnet knapp 25 Millionen US- Dollar.

Mit der Forderung „6 Prozent sofort!“ waren Tausende von StudentInnen schon während der Haushaltsabstimmung Mitte Dezember vor das Parlamentsgebäude gezogen – und es war zu den schwersten Straßenschlachten in Managua seit dem Ende der Somoza-Diktatur gekommen. Die Polizei hatte neben Tränengas, Knüppeln und Gummigeschossen auch scharfe Munition verwandt, das Ergebnis: zwei tote Studenten und zahlreiche Verletzte. Die beiden Studenten werden von ihren KommilitonInnen heute als „Märtyrer für die 6 Prozent“ gefeiert.

Die Besetzung des Außenministeriums und die Polizeiaktion gegen die StudentInnen gestern scheinen keine weiteren Opfer gefordert zu haben. Das hätte die nicaraguanische Regierung nur knapp eine Woche vor dem Besuch des Papstes in Nicaragua wohl auch nicht gut gebrauchen können. Polizeichef Fernando Caldera jedenfalls schätzt die Sicherheitslage im Land als „überaus kritisch“ ein. Aber auch der Druck, unter den die Polizeiführung nach den Toten vom Dezember geraten war, mag dazu beigetragen haben, daß es gestern offenbar nicht zu der vielfach befürchteten Eskalation kam. Hatte nämlich die Polizei im Dezember zunächst behauptet, es seien lediglich Warnschüsse in die Luft abgefeuert worden, so wies die unabhängige nicaraguanische Menschenrechtsorganisation CENIDH in einer eigenen Untersuchung nach, daß aus den Reihen der Polizei sehr wohl gezielt auf die Menge geschossen worden war.

Immer wieder hatten die Universitätsangehörigen in den vergangenen Jahren darum kämpfen müssen, daß die in der Verfassung verankerten 6 Prozent der Staatsausgaben auch tatsächch im Haushalt eingestellt wurden. Beide Seiten – der „Nationale Rat der Universitäten“ (CNU) auf der einen, die Regierung auf der anderen – hatten sich zunächst jahrelang um die Berechnungsgrundlage gestritten: Während die Universitäten gefordert hatten, alle staatlichen Einnahmequellen, also auch die für Nicaragua so bedeutsame internationale Hilfe, in die Berechnung einzubeziehen, wollte die Regierung zunächst lediglich die eigenen Steuereinnahmen als Grundlage nehmen.

Dieser Streit ist im wesentlichen entschieden: Das Parlament verabschiedete 1992 ein Ausführungsgesetz zugunsten der Universitäten. Und so erkennt denn auch die sandinistische Dissidentin Dora Maria Tellez, die Vorsitzende der Parlamentarischen Überprüfungskommission, die den von der Regierung vorgelegten Haushalt absegnete, die Forderung der StudentInnen als absolut rechtmäßig an: Nur habe die Regierung eben kein Geld. Ein Argument, das die Studierenden wenig überzeugt.

Dabei haben die Auseinandersetzungen um die Universitäten nicht zuletzt auch einen parteipolitischen Aspekt: Es ist ein offenes Geheimnis, daß die SandinistInnen nach ihrer Wahlniederlage 1990 zahlreiche Funktionäre in den Universitäten unterbrachten und so die Hochschulbürokratie deutlich vergrößerten.

So ist der Kampf der StudentInnen immer auch ein Kampf für die sandinistischen Universitätsfunktionäre – und auch deshalb erscheint es mehr als logisch, daß sich die orthodoxe Sandinistische Befreiungsfront gerade im Wahljahr 1996 mit flammender Rhetorik hinter die Forderungen der StudentInnen stellt. Bernd Pickert