Mächtige in den Bergen

Worüber die Oberchefs im schweizerischen Davos reden: Investitionen der Multis sind inzwischen wichtiger als die internationalen Handelsströme  ■ Von Dietmar Bartz

Noch im letzten Jahr schien die friedliche Globalisierung der Weltwirtschaft wieder einmal vorbei. Erneut drohte die Welt in viele regionale Wirtschaftsfestungen zu zerfallen. In Japan kündigten achtzehn asiatische und pazifische Regierungen die neue Apec-Freihandelszone an. Die Europäische Union legte ihr Freihandelsprojekt mit den Ländern des südlichen Mittelmeerraums auf. Und in Südamerika kam die Herausbildung des gemeinsamen Marktes Mercosur unerwartet schnell voran.

Zugleich konnte der erste große Handelskrieg zwischen China und den USA um geistiges Eigentum an Videoaufnahmen und Computerprogrammen nur mit Mühe beigelegt werden. Und die neue Institution die darüber wachen soll, daß sich die neuen Wirtschaftsräume nicht gegeneinander abschotten, erweist sich als schwächer als ihre Vorgängerin Gatt. Die Welthandelsorganisation WTO hat nicht verhindern können, daß es bereits zu gravierenden Verzögerungen bei der Umsetzung der Gatt-Freihandelsbeschlüsse gekommen ist.

Anlaß für Wirtschaftsbosse also, sorgenvoll über die Zukunft der Weltwirtschaft nachzudenken. So steht das Weltwirtschaftsforum in Davos (siehe Kasten) in diesem Jahr unter dem beschwörenden Motto „Die Globalisierung erhalten“. Ein wichtiges Ergebnis steht schon jetzt fest: Die Globalisierung geht weiter, die Bilder des Schrekkens verblassen genauso schnell, wie sie an die Wand gemalt worden sind. Wenigstens in dieser Hinsicht können sich die Manager entspannen. Auch pessimistische Ökonomen geben inzwischen zu, daß, so paradox dies zu sein scheint, die Regionalisierung der Weltwirtschaft zur wichtigen Triebkraft für seine Globalisierung geworden ist.

Denn die Blöcke schotten sich nicht einfach ab und machen anderen Teilnehmern an der Weltwirtschaft das Leben schwer, sondern sie steigern wechselseitig die internationale Attraktivität ihrer Mitgliedsländer. Nicht nur für in-, sondern auch für ausländische Interessenten sind die gemeinsamen, größeren Märkte lukrativer als mehrere kleine, einzelne. Ein Boom von Investitionen aus dem Ausland, um sich eine Scheibe vom Wachstumskuchen abzuschneiden, ist die Folge. Außerdem verflechten sich die Ökonomien, das zeigt etwa der Mercosur, „intraregional“, also zwischen den Mitgliedsländern, und sorgen dadurch für mehr Wachstum. Das wiederum lockt weitere „extraregionale“ Lieferanten und Käufer auf den Plan, und so springt auch der internationale Handel an.

Dies wohl vor allem, weil sich bisher keiner der neuen Freihandelsblöcke als vielbefürchtete Abwehrkoalition gegen Importe herausgestellt hat. Kollektiven Protektionismus können sich der Mercosur und die mitteleuropäische Freihandelszone Cefta nicht leisten. Und die maßlos überschätzte Apec verfügt nicht einmal über ein gemeinsames Sekretariat, um eine solche Ausgrenzungspolitik in die Tat umzusetzen. Auch unter anderen Vorzeichen würde aber wohl Investitionskapital fließen: Ironischerweise ist der gewaltige Zustrom an Auslandskapital, der sich Mitte der achtziger Jahre über die damalige EG ergoß, dem Umstand zu verdanken, daß kein Investor den Beteuerungen der EG glauben mochte, sie plane keine „Festung Europa“.

Mit zwei neuen Phänomenen werden sich die Manager in Davos beschäftigen. Eine Studie der UNO-Handelstochter Unctad zeigt, wie gering die Zahl der Hauptakteure in der Weltwirtschaft geworden ist: Genau ein Drittel des Welthandels entfällt auf Geschäfte zwischen verschiedenen Töchtern eines Multis, ein weiteres Drittel sind Geschäfte zwischen verschiedenen Multis. Nur ein Drittel des 4.900 Milliarden Dollar schweren Welthandels im Jahr 1992 entfällt auf alle anderen Firmen zusammen.

Dabei hat die Arroganz der Freihändler, daß ihre Geschäfte die Grundlage der Weltwirtschaft bilden, selbst keine Grundlage mehr. Die internationale Produktion – also die Herstellung einer Ware durch einen Konzern, der in einem anderen Land seinen Hauptsitz hat – ist inzwischen größer als der internationale Handel. 5.235 zu 4.939 Milliarden Dollar ist das genaue Verhältnis. Es bedeutet: Erst kam der Handel, nun folgt ihm die Produktion an den Wohnort des Kunden.

Deshalb halten heute viele Ökonomen die Investitionsströme für aussagekräftiger über die Perspektiven der Weltwirtschaft als die Handelszahlen. In absoluten Zahlen wirken die 340 Milliarden Dollar, die 1995 grenzüberschreitend investiert worden sind, zwar vergleichsweise niedrig. Aber der Anteil der Dritten Welt am Kapitaltransfer lag 1994 bei 37 Prozent, während es beim Handel nur 30 Prozent waren; und 1995 wollen die Multis ihre Investitionen in den Ländern der Dritten Welt um 90 Milliarden Dollar erhöhen. Damit sind Direktinvestitionen aus dem Ausland wichtiger als alle Regierungs- oder Bankenkredite geworden. Und: Sie führen nicht in die Verschuldung.

Bei der Globalisierung der Weltwirtschaft ist also ein neuer Mitspieler aufgetaucht, der Handel ist von der Produktion um einen Platz abgedrängt geworden. Aber auch die Produzenten haben keinen Anlaß für Vollmundigkeiten. Den Umsatz, für den der internationale Handel und die internationale Produktion ein ganzes Jahr brauchen, schafft der internationale Kapitalmarkt in fünf Tagen.