Alle sollen mitschaffen

■ Gewerkschafter kritisiert Arbeitsinitiative der Regierung als "nackten Kapitalismus englischen Stils", Wirtschaft sieht gute Grundlage für mehr Stellen

Berlin/Bonn/Düsseldorf (taz/ dpa/AP) – Die konzertierte Aktion der Bundesregierung, mit der sie Investitionen und Arbeitsplätze schaffen will, stieß gestern bei Gewerkschaften und SPD auf heftige Kritik. Die Gewerkschaft Holz und Kunststoff (GHK) rief den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Kirchen und Sozialverbände zu gemeinsamen „Großaktionen zur Rettung des Sozialstaates“ auf. GHK-Chef Gisbert Schlemmer warf der Regierung vor, die soziale Marktwirtschaft in Deutschland durch einen „nackten Kapitalismus englischen Stils“ ablösen zu wollen.

Zwei Tage nach seiner Verabschiedung durch das Kabinett wird der Bundestag heute über das Aktionsprogramm debattieren. DGB-Chef Dieter Schulte, sagte gestern, die Gewerkschaften würden die geplante Änderung beim Arbeitslosengeld nicht mitmachen. SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping kritisierte, in dem Aktionsprogramm würden wichtige arbeitsmarktpolitische Kriterien überhaupt nicht erwähnt. Arbeitslosigkeit sei nicht zu bekämpfen, „indem man Arbeitslose bekämpft“. Zum Abbau von Überstunden sei in dem Aktionsprogramm nichts zu finden. Außerdem vermisse er ein konkreteres Vorgehen gegen Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug. SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering bezeichnete das Papier als „Mischung aus Dilettantismus und alten Hüten“.

Vertreter der Wirtschaft signalisierten dagegen Zustimmung zu der Bonner Initiative. So bezeichnete der Chefökonom der Deutschen Bank, Norbert Walther, das Papier als gute Grundlage, um mittelfristig Beschäftigung zu sichern.

Das am Dienstag von Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP), Finanzminister Theo Waigel (CSU) und Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) präsentierte Aktionsprogramm faßt in 50 Punkten zusammen, wie die Regierung die Konjunktur ankurbeln will. Vollmundig heißt es in der Einleitung: „Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften müssen an einem Strang ziehen, um Freiräume für Beschäftigungsdynamik zu schaffen, Kosten zu senken und den Standort Deutschland im globalen Wettbewerb fit zu machen.“

Dazu sollen Steuersenkungen und Einschnitte bei sozialen Leistungen beitragen. So sollen 1997 Unternehmenssteuern und Solidaritätszuschlag reduziert werden. Erst nach 1998 – also nach der nächsten Bundestagswahl – will die Regierung mit der „Tarifreform 2000“ eine Einkommenssteuerreform in Angriff nehmen.

Zur Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent bis zum Jahr 2000 soll unter anderem eine noch in diesem Jahr geplante Reform des Arbeitsförderungsgesetzes beitragen. Zugleich sieht die Regierung Kürzungen im Sozialbereich vor. So sollen die Anpassungssätze für die Arbeitslosenhilfe jährlich um drei Prozent gekürzt werden, wenn Erwerbslose sich weigern, eine Arbeit aufzunehmen. Arbeitslosengeld soll künftig nur noch ab dem 45. Lebensjahr eines Arbeitnehmers länger als ein Jahr gezahlt werden. Bisher gab es diese Unterstützung ab dem 42. Lebensjahr für 18 Monate und staffelte sich. Bei Kuren soll die Regeldauer auf drei Wochen verkürzt werden. Eine erneute Kur soll man erst nach vier anstelle bisher nach drei Jahren beantragen können.

Um neue Beschäftigungschancen zu erschließen, will Bonn außerdem die zulässige Dauer von befristeten Arbeitsverhältnissen auf 24 Monate (statt 18) ausdehnen. Zudem sollen Kettenverträge zulässig sein. Auch das Mietrecht soll im Verlauf dieses Jahres reformiert werden. So sollen beispielsweise Zeitmietverträge erleichtert werden. flo