Wie unter der Dampfwalze

Im Graf-Untersuchungsausschuß mußten die CDUler Abstimmungsschlappe hinnehmen. Dennoch sind alle zufrieden  ■ Aus Stuttgart Philipp Maußhardt

Für die CDU in Baden-Württemberg war es ein Erlebnis besonderer Art. 44 Jahre lang, seit 1952, regiert die Partei in Stuttgart. Am Mittwoch, als der Graf-Untersuchungsausschuß zu seiner Schlußbesprechung zusammentrat, unterlagen die mehrheitsverwöhnten Christdemokraten knapp mit fünf zu sechs Stimmen dem Votum der anderen Parteien. Drei Stunden lang erlebten die CDU-Ausschußmitglieder zum ersten Mal, was es heißt, in der Minderheit zu sein. Anschließend meinte ein Unterlegener, er habe sich gefühlt wie unter einer Dampfwalze.

Auf der abschließenden Pressekonferenz zur parlamentarischen Untersuchung darüber, ob es vor den baden-württembergischen Steuerbehörden Gleiche und Gleichere gibt, war der Mann nicht erschienen, der im Mittelpunkt des ganzen Verfahrens gestanden hatte: Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU). Der reiste schon Wochen davor im Ländle umher und zeigte allen seine weiße Weste. Man werde sich noch, so orakelte der skandalumwitterte Hemdsärmler, ob des Vorwurfs, er habe Einfluß darauf genommen, die Tennisfamilie Graf steuerlich zu verschonen, bei ihm entschuldigen müssen. Die Finanzverwaltung habe korrekt gehandelt, alles andere sei Verleumdung.

Bei dieser Version blieb Mayer- Vorfelder (es ist Wahlkampf in Baden-Württemberg) auch noch, als längst klar war, daß das zuständige Finanzamt in Schwetzingen und die Oberfinanzdirektion in Karlsruhe eine Langmut und Geduld mit dem „Wildschwein“ Graf (Aussage eines Finanzbeamten) an den Tag gelegt hatten, von der andere Steuerzahler sonst nur träumen können (siehe Kasten). Jahrelang ließen sich die braven Beamten vom Steueranwalt der Grafs an der Nase herumführen, der zu Terminen nicht erschien, nur nebulöse Auskünfte erteilte, während sich die Millionen von Steffi aus Preisgeldern und Werbeeinnahmen auf den niederländischen Antillen zu palmhohen Stapeln häuften. Genau in dieser Langmut sehen nach Abschluß des Untersuchungsausschusses alle Parteien des Landtags bis auf die CDU den eigentlichen Skandal.

Ob das nun zusammenhängt mit dem Respekt der Finanzbeamten vor den sportlichen Leistungen Steffis oder aber mit vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem Kultus- und späteren Finanzminister Mayer-Vorfelder, von dem bekannt war, daß er sich in die Steuerangelegenheit eingeschaltet hatte, konnte nicht geklärt werden. Für die Mehrheit des Ausschusses jedenfalls steht fest: „Das Engagement von Herrn Mayer-Vorfelder hat dazu beigetragen, der Seite Graf eine Vorzugsbehandlung zuteil werden zu lassen.“

Zwar hatte Mayer-Vorfelder nur zweimal in all den Jahren direkten Kontakt mit Vater Graf, doch reichte das dem mutmaßlichen Steuerhinterzieher aus, wann immer er konnte, auf seine „Verbindungen nach oben“ anzuspielen. Immerhin ließ sich Mayer- Vorfelder den Tennis-Papa am Telefon auch dann noch durchstellen, als im Juni 1995 ein Ermittlungsverfahren gegen Graf eingeleitet worden war.

Aus diesem Grund wollen sich nun weder die Grünen noch die SPD bei Mayer-Vorfelder entschuldigen. Im Gegenteil: Der Landtag wird wohl im Februar einem abschließenden Ausschußbericht zustimmen, in dem es heißt: „Die Rolle, die der damalige Kultusminister Mayer-Vorfelder im Falle Graf 1986/87 spielte, läßt sich nicht mehr präzise aufklären.“ Ein Satz, der der CDU unerträglich erschien. Sie stellte in ihrem Minderheitsvotum sowohl ihrem Minister als auch der gesamten Finanzverwaltung nur gute Zeugnisse aus. „Sachgerecht“, „zweckmäßig“, „verantwortlich“ und „konsequent“, das ist das Vokabular, mit dem die CDU-Mitglieder das Verhalten der Finanzbehörden beschreiben.

Alle sind zufrieden: Die CDU vor allem deshalb, weil es nach vier Monaten gelungen sei, die „haltlosen“ Vorwürfe gegen den Minister in Luft aufzulösen. Er sei „vollständig rehabilitiert“, jubelt denn auch Mayer-Vorfelder. Zufrieden aber können auch die gleichermaßen gebeutelten wie gelobten Beamten sein. Nach Abschluß des Untersuchungsausschusses sind sie die wahren Gewinner: Alle Fraktionen überlegen sich nämlich jetzt, wie die Finanzämter des Landes personell, technisch und organisatorisch besser ausgestattet werden könnten. Doch nicht nur das: Die Steuerverwaltung soll in Zukunft so weit vom Steuergeheimnis befreit werden, daß sie auf Vorwürfe, wie sie Graf erhoben hatte, auch reagieren kann.

Was bleibt, ist die lädierte Steuermoral. Die Vorzugsbehandlung der prominenten Familie Graf habe da „einen Bärendienst erwiesen“, stellt der Ausschuß fest.