Keine Solidarität

■ Kritik an Seehofer vor Debatte im Bundestag über Gesundheitsreform

Bonn (taz) – Ursprünglich sollte einmal eine große Gesundheitsstrukturreform für finanzielle Entspannung im Gesundheitswesen sorgen. So hatten es SPD und CDU gegen den Willen der FDP 1993 verabschiedet. Doch das ist Vergangenheit. Was Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) jetzt als dritte Stufe der Gesundheitsreform verkauft und heute im Bundestag diskutieren wird, ist nichts anderes als die Absage an das solidarische Krankenversicherungssystem.

Versicherte sollen künftig die fragwürdige Freiheit genießen, ähnlich wie bei einer Autoversicherung eine Selbstbeteiligung wählen zu dürfen. Wer zum Beispiel willens und in der Lage ist, alle Arztkosten bis zu 500 Mark aus der eigenen Tasche zu zahlen, kann mit monatlich deutlich geringeren Beiträgen rechnen. Krankenkassen sollen einem schärferen Wettbewerb ausgesetzt sein. Sie sollen Beiträge an besonders gesundheitsbewußte Kunden zurückzahlen können. Für Zahnersatz sollen nur noch feste Zuschüsse gezahlt werden. Diese werden unter der bisherigen Grenze von 50 Prozent liegen.

Die SPD, deren Unterstützung Seehofer für die Durchsetzung seiner Pläne im Bundesrat braucht, zieht da nicht mit. „Seehofer ist in die alte Politik der Notbremsung zurückgefallen, um Kosten zu senken. Statt eine umfassende Strukturreform zu realisieren, sollen jetzt wieder Versicherte und Patienten in Anspruch genommen werden“, kritisierte NRW-Gesundheitsminister Axel Horstmann in Bonn. SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler warf Union und FDP vor, sie wollten mit vermeintlichen Strukturreformvorschlägen wie Beitragsrückgewährung, Kostenerstattung oder Wahl- und Regelleistung die solidarische Krankenversicherung zerstören.

Die Sozialdemokraten haben deswegen einen eigenen Entwurf für ein zweites Gesundheitsstrukturgesetz eingebracht. Darin planen sie eine Stärkung der Position der Hausärzte. Sie wollen eine flexiblere Arbeitsteilung zwischen Ärzten und medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern: Vernetzte Praxen oder Gesundheitszentren sollen gefördert und Krankenhäuser an der spezialärztlichen Versorgung besser beteiligt werden. So ließen sich sowohl Kosten für teure Geräte einsparen als auch unnötig gewordene Überweisungen vermeiden. Um die Kosten der Krankenhäuser nicht weiter in die Höhe schießen zu lassen, sollen die Kassen die Abrechnungen genau überprüfen können. Hospitäler sollen künftig detaillierte Rechnungen schreiben müssen.

Auch die Bündnisgrünen üben heftige Kritik an dem Seehofer-Papier. Die gesundheitspolitische Sprecherin Monika Knoche spricht von einem „wirklichen Systemumbau, dessen politische Wirkung sich erst in ein paar Jahren bemerkbar machen wird“. Der SPD werfen die Bündnisgrünen vor, sie lasse sich auf falsche Prämissen ein, weil sie aus wirtschaftspolitischen Gründen das Gesundheitssystem reformieren wolle. Ohne Fremdbelastungen seien die Defizite der gesetzlichen Krankenkassen „marginal“. Vielmehr müßten „Qualität und Patientenorientierung“ im Mittelpunkt stehen. Karin Nink