: Der wichtigste Mann drückt sich vor Tschechien
■ Kanzler Kohl tauchte bei der Bundestagsdebatte über das deutsch-tschechische Verhältnis nicht auf. Vollmer schilt Kinkel der Lüge. Der warnt vor Dramatisierung
Bonn (taz) – Der wichtigste Mann wollte keine Rechenschaft ablegen: In Abwesenheit von Bundeskanzler Kohl hat die Opposition im Bundestag gestern die Bundesregierung für die Krise im Verhältnis zwischen Bonn und Prag verantwortlich gemacht. Vergeblich hatten Bündnis 90/Die Grünen und SPD die Teilnahme des Kanzlers an der Aktuellen Stunde gefordert, den sie persönlich für den Rückschlag in den Vehandlungen verantwortlich machen.
„Ich bin ganz sicher, weder Adenauer noch Brandt wäre etwas ähnliches passiert wie Kohl mit Tschechien“, kritisierte Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen). Wie Günter Verheugen (SPD) warf sie Kohl vor, er schlage eine mögliche dauerhafte Verständigung mit Prag aus innenpolitischer Rücksichtnahme auf die CSU und Vertriebenenverbände aus.
Außenminister Klaus Kinkel (FDP) warnte dagegen wie Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble vor einer Dramatisierung und mahnte zu Geduld: Er wolle eine Lösung, die Deutsche und Tschechen wirklich aussöhne und nicht spalte. An Antje Vollmer gewandt, sagte Kinkel, er sei im Bundestag noch nie der Lüge bezichtigt worden: „Ich fordere Sie auf, treten Sie den Beweis an.“ Vollmer hatte der Regierung und Kinkel vorgeworfen, sie hätten die Verhandlungen verzögert und neue, unerfüllbare Bedingungen gestellt, während die Prager Seite zur moralischen Distanzierung von Vertreibungsunrecht längst bereit sei: „Es sind Ausreden, falsche Darstellungen und gelegentlich auch blanke Lügen, die zur Erklärung des Desasters herangezogen werden“, sagte sie.
Die PDS-Abgeordnete Andrea Lederer bedauerte, Kinkel habe versäumt, dem Parlament über den Stand der Verhandlungen und die strittigen Punkte Auskunft zu geben. Wie auch Abgeordnete von SPD und Grünen forderte Lederer, die Entschädigung an die tschechische Regierung für NS- Opfer unabhängig vom Erfolg der Verhandlungen zu zahlen.
Vor der Debatte hatten Vertriebenenpolitiker die Forderung bekräftigt, die Prager Regierung müsse das Amnestiegesetz aufheben, das Gewalttaten bei der Vertreibung für Rechtens erklärt hatte. Der tschechische Botschafter in Bonn, Jiři Grusa, warf der deutschen Regierung dagegen Arroganz vor. Hans Monath
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