„Ich erinnere mich nicht“

■ 25jähriger steht wegen Vergewaltigung einer 65jährigen Rentnerin vor Gericht

Für einen Moment kreuzen sich die Blicke des Zeugen und des Angeklagten. Doch der 25jährige Mann, der sich gestern vor der ersten Strafkammer des Landgerichts wegen Vergewaltigung verantworten mußte, hält dem Blick des Zeugen nicht stand. Er senkt die Lider und sieht zu Boden. Die Lippen preßt er fest aufeinander. Der Zeuge ist der Ehemann des Opfers.

Seine Frau, eine 63jährigen Rentnerin, ist nicht zur Verhandlung erschienen. Sie ist am Morgen zusammengebrochen – aufgrund der psychischen Belastung hat ihr Kreislauf versagt. Auch ihr Mann ist sichtlich um Fassung bemüht. „Wir sind aufgestanden und haben gefrühstückt“, preßt er hervor. Doch schon nach diesem ersten Satz versagt seine Stimme. „Wir machen jederzeit eine Pause, wenn Sie nicht mehr können“, versichert ihm der Richter sogleich. Der Mann schluckt und nimmt einen erneuten Anlauf. „Wir haben die Balkon-Tür aufgemacht, um zu lüften. Es war ja sehr heiß. Dann hat meine Frau mir gesagt, was sie so braucht und ich bin losgefahren zum Markt. Sie wollte sich wieder ins Bett legen. Ich muß kaum aus der Tür gewesen sein, da muß... er schon auf dem Balkon gestanden haben“, sagt er und dreht den Kopf kurz in Richtung des Angeklagten.

Der Angeklagte wischt sich mit zwei Fingern über die Stirn. „Als ich zurückkam, habe ich ihn gesehen. Er kam mir entgegen – vielleicht zehn Meter vor der Haustür. Als ich das Treppenhaus aufschloß, stand meine Frau im Nachthemd da. Sie schrie: ,Ich bin vergewaltigt worden'.“ Wenig später wurde der Angeklagte gestellt.

Doch davon weiß der junge Mann nach eigenen Angaben nichts mehr. Im August des vergangenen Jahres soll er gegen sieben Uhr morgens in die Wohnung der Eheleute über den Balkon eingestiegen sein. Ihm wird vorgeworfen, die Ehefrau zwei Mal zum Oral-Verkehr und ein Mal zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben – er weiß davon nichts, sagt er. Nur an „die schlimmen Schläge“ und „die heftigen Kopfschmerzen“ nach dem Vorfall kann er sich gut erinnern. „Aber ich habe das mit einer Schlägerei in Verbindung gebracht. Ich wußte wohl, daß da eine Rangelei war. Aber ich erinnere immer nur Bruchstücke. An die Tat kann ich mich überhaupt nicht erinnern“, beteuert er immer wieder. Die Rentnerin hat sich nach Leibeskräften gewehrt. Während des Kampfes bekam sie ein altes Plätteisen – eine Buchstütze – zu fassen und schlug ihren Peiniger damit auf den Kopf. Der Mann ließ von ihr ab. „Körperlich und psychisch bin ich erst in Oslebs wieder zu mir gekommen“, erzählt der Angeklagte. „Da habe ich die Platzwunden gesehen. Und ich hatte ja auch noch Wochen später Kopfschmerzen.“ Ansonsten kann er sich an nichts erinnern. Auch nicht, als der Ehemann mit seiner Schilderung am Ende ist. „Was sagen Sie jetzt dazu“, will der Richter wissen. „Ich kann mich nicht erinnern. Das ist alles.“ 1,29 Promille Alkohol hatte er vier Stunden später im Blut. „Zur Tatzeit dürften das so knapp unter zwei Promille gewesen sein“, rechnet der Richter. „Dazu Hasch – dürfte spannend werden.“ Was seinen Alkoholkonsum angeht, macht der Mann im Laufe der Verhandlung widersprüchliche Angaben. „Ich stand die ganzen Tage vorher schon unter Dampf“, sagt er zu Beginn. „Ich habe in der Zeit davor nur so ein, zwei Gläser am Abend getrunken“, glaubt er sich später zu erinnern. „Mit dem,was Sie sagen, können wir wenig anfangen“, fährt ihn der Richter an. „Nichts genaues weiß man nicht – oder wie?“ Der Angeklagte zuckt mit den Achseln.

kes

Die Verhandlung wird nächste Woche fortgesetzt