Weg vom „Grinse-Journalismus“

■ Elke Heidenreich, die Autorin des Erzählungsbandes „Kolonien der Liebe“ über die Brüche im Leben: Ulrike Meinhof und Peter Boehnisch, Milan Kundera und Richard Ford/ Heute in Bremen

Elke Heidenreich ist mit ihrem Erzählungs-Band „Kolonien der Liebe“ ein überraschender Erfolg auf dem Buchmarkt gelungen: 500.000 verkaufte Exemplare. Bezeichnend für die Karriere der Karrierefrau, die keine ist, waren immer die Brüche. Nach dem Ruhm ihrer Radio-Figur „Else Stratmann“ moderierte Elke Heidenrich diverse Talkshows, um dann 1992 als Schriftstellerin in Erscheinung zu treten.

taz: Machen Sie es den Leuten nicht enorm schwer. Die Brigitte-Kolumnisten gibt als frühes Vorbild Ulrike Meinhof an, wie geht das zusammen?

Elke Heidenreich: Wieso, wo ist das Problem? Als ich frisch von der Uni kam, hat die Meinhof ja in Konkret geschrieben. Das war auch eine Kolumne, da ging es zum Teil um ganz alltägliche Dinge, um Zustände in Altersheimen, wie wir mit unseren Kindern umgehen. Das war eine politische Kolumne, politischer, als man in Brigitte sein kann. Aber das Wesentliche, weshalb wir das verschlungen haben, war, daß jemand schrieb: „ich finde“ und „ich meine“. Insofern war mir Meinhof ein Vorbild und auch ihre Haltung, ihre Unerschrockenheit, das hab ich immer bewundert.

Ein bißchen davon hab ich dann später in der Talkshow gezeigt. Leute wie Peter Boehnisch, mit denen rede ich einfach nicht fair, das ist da nicht angebracht, da gelten die alten Maßstäbe nicht mehr. Das hab ich bei ihr gelernt.

Wie kam das in den Talkshows zum Einsatz?

Man muß sich sehr gut vorbereiten. Zumindest war das damals so, heute wird ja nur noch so irgendwie geredet. Aber als ich Boehnisch zu Gast hatte, da hab ich seine ganzen 250 Kolumnen aus der Bildzeitung noch mal gelesen, wo er Böll als Wegbereiter des Terrorismus beschreibt. Ich kriegte ihn, weil er als Steuerhinterzieher, als prominentester Arbeitsloser der Regierung gehandelt wurde.

Waren das Schlachten die Sie gewonnen haben?

Nein, nicht Kriege, aber ich wollte nicht den Grinse-Journalismus machen bei Leuten, die mir wirklich zuwider sind.

Was hat sie dazu gebracht, damit aufzuhören und immer wieder was Neues anzufangen?

Ich hab einfach kein Interesse an der klassischen Karriere. Deshalb fang ich was Neues an, wenn ich denke, es ist genug. So bin ich oft umgezogen, hab den Freundeskreis gewechselt, hab mit 40 begonnen, Klavier zu spielen, und mit 52, von 3-Meter-Brett zu springen.

Aber damit löst man auch Irritationen aus. Verstehen die Leute all diese Rollenwechsel der Elke Heidenreich?

Leute, die den Klischees nachhängen, gibt es immer, das ist mir egal. Wichtig ist mir, wie ich vor mir selbst da stehe. Ob ich mich noch leiden kann. Wer genau hingeguckt hat, der hat schon immer sehen können, das ich zwei Seiten, hab die oft nicht ganz zusammen gehen. Ich mußte ja mal in einer Talkshow in Tränen ausbrechen. Dann wieder will ich keine Dauerwelle und keinen Lippenstift, da verbieg ich mich nicht für'n Kerl und nicht für den Intendanten.

Hat Ihnen diese Treue zu sich selbst geholfen, als Sie sich mit einem literarischen Text an die Öffentlichkeit wagten? Waren Sie unabhängiger von der Meinung anderer?

Nein, das ist man nie. Ich wußte nur, das ist mir jetzt ganz wichtig. Jetzt muß es raus, sonst ersticke ich daran. Ich hab nur gehofft, daß man mich nicht schlachtet, wenn das geschehen wäre, das hätte mich sehr verletzt, viel mehr, als alles, was ich sonst so an Kritik mitbekommen hab. Aber das Wichigste war die Aufnahme bei Publikum, die Leute mochten die Geschichten von Anfang an. Da hatte ich auf einmal Mut. Darum habe ich mich auch getraut weiter zu schreiben, wie kläglich auch immer. Es ist ja seitdem außerdem Kinderbuch nichts mehr gekommen.

Wie arbeiten Sie, wann knappsen sie sich Zeit und Muße zum Schreiben ab.

Das ging ehrlich gesagt früher besser. Jetzt, wo ich die Zeit habe, starre ich manchmal die weiße Seite an. Ich hab mich früher zwischen aller Hektik zurückziehen können, da gab es früh eine Talkshow und eine abends und mittags saß ich und hab meine Texte reingehackt. Zur überarbeitung ziehe ich mich dann zurück.

Wie lange haben Sie denn an „Kolonien der Liebe“ gearbeitet?

Wenn ich angeben wollte, würde ich sagen: 10 Jahre. Die erste Geschichte, „Liebe“, die ich auch lesen werde, ist mir am schwersten gefallen. Die hat auch am meisten mit mir zu tun, mit meinen Erinnerungen an die 50er Jahre. Als die endlich fertig war, ging alles viel leichter. Alles in allem mit Überarbeitungen vier Jahre.

In der Toskana?

Ja, das denken immer alle. Ich bin da noch nie gewesen.

Wenn man Ihre Geschichten liest, oder auch die Brigitte-Kolumne, dann sind es immer die Kleinigkeiten, die einem auffallen. Sind Sie eine gute Beobachterin?

Ja, das kann man trainieren. Als ich anfing, die Kolumne zu schreiben, da hatte ich das noch nicht so stark. Jetzt kann ich richtig durch die Stadt gehen, als Flaneur, im Café sitzen und die Augen und Ohren aufsperren. Dann kommen die Themen. Und weil ich so vergeßlich bin, hab ich ein Buch, in das ich dann alles hinein schreibe.

Ein besonderes Buch?

Ja ich war schon immmer scharf auf „Blindbände“. Das sind diese Bände die es bei der Buchmesse gibt, wenn das Buch noch gar nicht fertig ist, weil der Autor noch dran sitzt. Da ist dann schon der Umfang fertig, der Titel und das Cover, aber innen ist noch gar nichts drin. Und diese Bücher reiße ich mir immer unter den Nagel. Und die schreib ich dann voll. Das hat mir immer Spaß gemacht. Man kann auch im Café sitzen und Notizen machen und es sieht nicht so aus, als ob man Tagebuch schreibt.

Gibt es Autoren, die Vorbild waren? Haben Sie Lieblingsautoren?

Vorbilder nicht, das darf man ja nicht haben, wenn man selbst schreiben will. Aber ich lese natürlich viel. Zum Beispiel Carson McCuller oder Kathrin Mansfield. Alles von Updike, furchtbar gern Michael Ondaatje, aber Kundera zum Beispiel kann ich überhaupt nicht leiden, was der über die Liebe schreibt, ist so armseelig, der hat überhaupt keinen Ahnung von der Liebe. Und Richard Ford natürlich, Rock Springs, das war mein Lieblingsbuch.

Das sind alles amerikanische Autoren, fühlen Sie sich da besonders angesprochen?

Ja also, wenn ich das lese, was die können die Amis, bewundernswert. Da fängt eine Geschichte an: „Das war der Sommer, als Mutter uns verlassen hatte und Vater hatte aus Versehen den Nachbarn erschossen, da ging ich mit Jack angeln.“ Das ist der erste Satz. Da hätten wir Deutschen 600 Seiten drüber geschrieben. Das ist der erste Satz. Und dann kommt ganz lakonisch, was diese Jungs an dem Nachmittag machen beim Angeln. Sehr brutal.

So was lese ich immer wieder gern und erkenne ganz neidlos an, daß ich das nie können werde. Aber ob man mir das nun glaubt oder nicht: ich schreibe eh ohne Ehrgeiz. Ich will nicht berühmt werden durchs Fernsehn, ich will nicht reich werden. Ich will einfach, daß die Arbeit, die ich tue, Sinn hat. Und daß ich davon leben kann.

Fragen: Susanne Raubold

Elke Heidenreich liest heute um 20 Uhr in der Stadtbibliothek