Zwischen den Rillen
: Ohne die üblichen Gefühlsverstärker

■ Es gibt den wahren Song im Falschen: z.B. von Michael Hall und Lambchop

Mehr als genervt war man vor gar nicht so langer Zeit von den allwöchentlich in unseren Clubs auftauchenden Männern oder Frauen mit ihren akustischen Gitarren und den Geschichten vom wahren und richtigen Leben: Zuviel war das, was uns da als die Rettung vor pompösem Gefühlsrock verkauft wurde. Zudem meinten auch viele der jungen Helden plötzlich, ihre Rocksongs ganz unplugged und und folky vorstellen zu müssen.

Mittlerweile ist viel vom Post-Rock und der Abschaffung von gewohnten Songstrukturen die Rede, und auch die Zunft der Singer und Songwriter übt sich in der Abkehr von Dan Stuarts Diktat „Some Things Never Change“, ohne nun gleich den Song als solchen in Frage zu stellen. Lap- und Pedal-Steel-Gitarre sind nicht mehr der Inbegriff einzig wahrer Songbegleitung, auch Trompete, Saxophon oder gar Streichquintette dürfen zum Einsatz kommen.

Die neuen Alben von Michael Hall und Lambchop sind einigermaßen repräsentativ für diesen ungezwungeneren Umgang mit den Versatzstücken von Country- und Folkrock, wobei hier jetzt nicht gleich einer neuen „Entwicklung“ oder „Welle“ das Wort geschrieben werden soll – Gott und Johnny Cash bewahre. Der eine, Hall, rüstet seine Songs zum Teil sehr stark ab, verzichtet öfters auf Gitarren- oder Schlagzeugbegleitung, umgekehrt verstärken die anderen, Lambchop, ihre Songs gleich mit einem ganzen Orchester.

Michael Hall kommt aus Austin, Texas, hatte dort eine Band, die Wild Seeds, und nahm später solo mit wechselnden Musikern seine Alben auf. Hierzulande bekannt dürfte er am ehesten durch seine Mitwirkung bei der Allstar-Band The Setters sein, zu deren Album er den besten und vor allem allgemeingültigsten Song beisteuerte: „Let's Take Some Drugs And Drive Around“. Sein vierter, eigener Entwurf heißt „Day“ und enthält neben den etwas öden, konventionellen rockbased Folksongs eine ganze Reihe sehr eigenwilliger Stücke, die ohne die üblichen Gefühlsverstärker auskommen. „Their First Murder“ ist so ein Stück, wo Hall nur in Begleitung von dezenter Percussion und einer blaunotigen Trompete seine Philosophie von Gut und Böse transportiert; in „Red River“ ist es allein ein Kontrabaß, der den Wunsch nach eines jeden seinem Jesus zum Ausdruck bringt. Auch „The Ache For Fame“ ist eine schlagzeugfreie, überaus ruhige, emotionslos schaukelnde Ballade, die den Tag einen guten Freund sein läßt. Überzeugend ist Michael Hall in genau den Momenten, wo er sich einerseits vom traditionellen Rock-Line-Up löst, andererseits am Song selbst herumbastelt, ihn beschnuppert, wiegt und ihn höchstens noch in seinen Auslassungen für gut befindet: Er spricht dann mehr, als er singt, kommt gleich in den ersten Zeilen zur Sache und verzichtet auf stimmungsvolle Refrains. Wenn ein bißchen Glanz mit dazukommen soll – Berührungsängste kennt Hall da nicht –, dann überläßt er solche Arbeiten eben einfach einer Trompete oder einem Akkordeon, das in einem Stück wie „Las Vegas“ seinen schunkelnden Einsatz hat.

Ähnlich wie Hall kommen auch Lambchop aus einer Hochburg des Country-Rock, aus Nashville, und wie man in solchen Städten auf Schritt und Tritt zwangsläufig mit Vergangenheit und Tradition in Berührung gerät, muß ebenso zwangsläufig der Wunsch nach Überwindung und Transformation selbiger groß sein.

Lambchop sind eine Art Musikerkollektiv – neun Leute lassen sich da auf dem Bandfoto zählen, fast dandyhaft mit Anzügen und Krawatten bekleidet. Wo Country & Folk in seinen übelsten und schlechtesten Auswüchsen natürlich voller Kitsch steckt, geben Lambchop dieser Musik, was des Kitsches ist: Volle Latte werden auch auf ihrem zweiten Album „How I Quit Smoking“ die Songs orchestriert, teilweise mit nicht zu knappen Einsätzen eines zusätzlich engagierten Streichquintetts.

Immer wenn man sich bei ihren Songs gerade hat hineinschaukeln lassen in eine genießerische Gelassenheit, irritieren Lambchop, indem sie noch eine Rundung draufsetzen, das Stimmungsrad gänzlich überdrehen mit ihrem mächtigen Einsatz von Pfeifen, Klarinetten, Posaunen, Saxophonen und was der Leckereien mehr sind. Auch wenn die Songs sehr langsam über die Albumlänge dahinfließen, ruhig und leise, verzichten sie trotzdem fast nie auf allen möglichen Schnickschnack. Zu allem Überfluß hat Kurt Wagner, der oberste Songschreiber und Geschichtenerzähler der Band, noch eine Stimme, die sich mehr durch brüchige Maulvölle als Zielgerichtetheit auszeichnet, leicht angeschimmelt ist und dadurch das allerletzte, endgültig Magenbeschwerden verursachende Sahnehäubchen beschert.

Wo das alles enden soll, dürfte Lambchop wohl selbst nicht so klar sein: Ironie ist, wenn man's trotzdem ernst meint, weswegen Kurt Wagner nicht uneitel seine für die Stücke verwandten, museumsreifen Gitarren feinsäuberlich auflistet. Und zu guter Letzt wird auf der Coverrückseite auch noch zum Besuch der Country Music Hall Of Fame in Nashville, Tennessee, aufgefordert. Gerrit Bartels

Michael Hall: „Day“ (Moll/ Efa)

Lambchop: „How I Quit Smoking“ (City Slang/Efa)