Spannungen an der indisch-pakistanischen Grenze

■ Wer die Moschee im Grenzbereich mit Raketen beschossen hat, ist immer noch umstritten. Pakistan reagiert nervös auf indische Waffendemonstrationen

Delhi (taz) – Die Situation an der Waffenstillstandslinie und den internationalen Grenzmarkierungen zwischen Indien und Pakistan wird immer gespannter. Seitdem am Wochenende zwei Raketen in die Moschee des Dorfs Kahuta einschlugen und achtzehn betende Menschen töteten, haben pakistanische Ranger Bauern und Häuser kleiner Grenzdörfer beschossen. Unterdessen erschoß die indische „Border Security Force“ vier Männer, die angeblich illegal die Kontrollinie überschritten hatten.

Während sich auf der pakistanischen Seite nur wenige Häuser in die Grenzzone vorschieben, gehen die Dörfer und Felder im indischen Teil bis hart an die scharfbewachten Markierungen und werden von beiden Seiten als militärische Objekte mißbraucht. Die meisten dieser Leute sind so arm, daß sie ihre Wohnstätte nicht mit einem sicheren Ort tauschen können. Die brenzlige Lage konzentriert sich auf einen relativ kurzen Grenzabschnitt von rund 200 Kilometern zwischen den Städten Amritsar und Jammu. Das Gebiet heißt „Chicken Neck“, weil es wie ein dünner Hals den kaschmirischen Kopf mit dem massigen Leib des indischen Subkontinents verbindet. Es ist eine enge Passage zwischen der pakistanischen Grenze im Westen und einem Himalaya- Ausläufer im Osten und bildet den einzigen ganzjährigen Zugang ins indische Kaschmirtal. Dieser Streckenabschnitt wird im Winter jeweils zu einer heißen Grenze, weil die „Line of Control“ weiter im Norden zugeschneit ist. Daher konzentrieren sich hier die illegalen Grenzübertritte aus Pakistan, um so mehr, als nur ein Teil – die internationale Grenze – mit Stacheldrahtverhauen befestigt ist, während die international nicht geregelte Waffenstillstandslinie im Prinzip ein offenes Feld darstellt. Indien behauptet, Pakistan gewähre kaschmirischen Untergrundkämpfern für den Grenzübertritt Feuerschutz, während Pakistan sagt, es beantworte nur die Schußsalven der Inder. Die zunehmende Intensität könnte zudem mit der Absicht Indiens zusammenhängen, entlang der Kontrolllinie Drahtzäune hochzuziehen. Pakistan erklärt, daß die Vereinbarung von 1972 über die Waffenstillstandslinie den Streitenden jede physische Veränderung verbietet.

Der Raketenangriff auf die Moschee von Kahuta hat zu einer weiteren Eskalation geführt. Das Dorf Kahuta liegt weit nördlich vom Chicken Neck. Es befindet sich nach pakistanischer Version 18 Kilometer von Indien entfernt, nach indischen Angaben dagegen 50 Kilometer. Indien weist jede Schuld an dem Angriff zurück: Der Ort liege für einen Raketenbeschuß viel zu weit von der Grenze entfernt, und überhaupt erreichten nur ferngesteuerte Raketen eine derartige Präzision; die Geschosse seien aber nachweislich keine Lenkwaffen gewesen.

Vielleicht, so heißt es in Delhi, handelte es sich um fehlgeleitete Geschosse von pakistanischer Seite oder einen Racheakt im ständig schwelenden Kampf zwischen verschiedenen muslimischen Sekten. Der Vertreter der UNO-Kommission für Kaschmir erklärte sich nach einem Lokaltermin außerstande, die eine oder andere Version zu bestätigen.

Der Angriff auf die Moschee von Kahuta hat in Pakistan zu empörten Protesten geführt, während er in Indien, das ganz von der jüngsten Bestechungsaffäre absorbiert zu sein scheint, kaum wahrgenommen wurde. Was die Wut und die Beklemmung in Pakistan noch steigerte, war die Demonstration militärischer Stärke, die Indien jeweils am 26. Januar, dem Tag der Republik, zur Schau stellt. Dieses Jahr waren es die einheimisch produzierten schweren Panzer Arjun, welche Delhis Königsallee hinunterrollten, während über den Köpfen der Zuschauer Prototypen eines ebenfalls selbst entwickelten leichten Jagdflugzeugs donnerten.

Gleichzeitig kündigte die Armee an, sie habe erfolgreich eine Mittelstreckenversion der Prithvi- Rakete getestet. Damit verfügt sie über ein Lenkgeschoß, das den Bereich zwischen fünfzig und 300 Kilometer mit einer Ladung von bis zu 1.000 Kilogramm abdeckt.

Gerichtet war diese Demonstration nicht nur an Islamabad, sondern auch an Washington: Delhi wollte zeigen, daß es die Aufrüstung Pakistans durch amerikanische Waffen als Herausforderung betrachtet. Daß zu den Adressaten aber auch das indische Wahlvolk gehörte, dem eine bedrängte Regierung Stärke demonstrieren will, wurde in Pakistan kaum wahrgenommen. Bernard Imhasly