Kein Skandal vor den Landtagswahlen

Im Plutoniumausschuß hat die Koalitionsmehrheit die Gästeliste entschärft. Zieht die SPD vors Verfassungsgericht? BND-Beamter widerspricht seinem Chef und sich selbst  ■ Aus Bonn Holger Kulick

Bonn (taz) – Schon bevor gestern früh der Plutoniumuntersuchungsausschuß in Bonn zusammentrat, knallte es kräftig. Noch am Vorabend lagen sich die Obleute der Parteien unversöhnlich in den Haaren, „so heftig wie noch nie“ wurde gestritten. Der Zankapfel: die Liste der Zeugen, die aufklären sollen, wer den Schmuggel von 363 Gramm waffenfähigen Plutoniums 1994 im Lufthansa-Jet aus Moskau nach München angeordnet hat. War der BND der Anstifter? Das herauszufinden will die Regierungsmehrheit im Ausschuß offensichtlich verhindern – zumindest vor den Landtagswahlen Ende März. So setzten CDU/ CSU und FDP durch, daß zunächst die eher zweitrangigen Atomsachverständigen Häfele und Atali, nicht aber die maßgeblich an dem zwielichtigen Deal Beteiligten und Verantwortlichen zu Wort kommen. So wurde auch die von der SPD beantragte Fortsetzung der Vernehmung von BND-Präsident Porzner und Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer abgeblockt, gar nicht zu reden von einer Vorladung von Bundeskanzler Helmut Kohl. Der Kanzleramtsminister Schmidbauer soll vor den Wahlen nicht mehr in der Schußlinie stehen, das ist ein offenes Geheimnis in der CDU. „Diese parteitaktische Regie aus dem Kanzleramt ist ein Skandal“, wetterte der SPD-Obmann Bachmaier und läßt jetzt prüfen, ob per Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht Klage gegen die Unionsblockade erhoben werden kann. „Das verfassungsrechtlich verbriefte Untersuchungsrecht des Parlaments wird ad absurdum geführt, und Minderheitenrechte werden mißachtet“, kritisierte Bachmaier als Sprecher der SPD-Fraktion. „Die Fürsorge für den Parteifreund Schmidbauer geht offensichtlich vor“, schimpfte auch der Abgeordnete der Grünen, Manfred Such. Der heftige Streit dauerte gestern an. Ein Streitpunkt: Das Bundeskanzleramt hält weiter Vermerke für die Behandlung im Ausschuß geheim, die schon früh Rußland als Lieferort des Plutoniums benennen.

Gestern kam ein eng mit dem Deal befasster BND-Mitarbeiter im Ausschuß zu Wort. Auf den Dunkelmann „Kulp“ waren Beobachter spätestens seit der Vernehmung von BND-Chef Porzner gespannt. Der 50jährige Regierungsoberamtsrat war nämlich bei den Einsatzbesprechungen des bayerischen Landeskriminalamts „jedesmal dabei“, hatte Konrad Porzner berichtet, aber warum? „Daß man immer voll informiert ist“, hatte Porzner in Bonn ausgesagt, wo doch der BND angeblich nichts wußte. Und mehr noch: Kulp und der angebliche BND-„Dolmetscher“ Adrian hatten beim LKA nicht nur schweigend Zaungast gespielt, sondern „mit erörtert“, gab Porzner an. Das heißt: Die angebliche „Amtshilfe“ des BND für Bayerns LKA war effektiv Mithilfe. Der Beamte Kulp mühte sich, seinen Chef zu entkräften und widersprach sich dabei selbst. „Ich war nie bei den Verhandlungen dabei“, gab er an, er hätte aber „ohne Auftrag“ aus der Entfernung stets mitbeobachtet. Den LKA-Besprechungen hätte er „zu 90 Prozent“ beigewohnt, aber stumm, nur „um nach hinten weiter zum BND zu geben“, was da läuft. Mit dem BND-Mann und „Dolmetscher“ Liesmann habe er ein „OP-Team“ gebildet. Am 19. Juli 94 bekamen sie den Auftrag, die Kontakte zum LKA in die Hand zu nehmen. Für Aufsehen sorgte ein geschwärzter Aktenvermerk Kulps, den das Kanzleramt schließlich doch freigab. Darin berichtet der Beamte, was die BND- und LKA-Dealer am 26.7. 94 vom Unterhändler Torres erfuhren: „Derzeit befänden sich in Moskau 494 Gramm Plutonium, wovon er drei Gramm als Probe bei sich habe.“