Die Melancholie einer Übergangszeit

■ Das Kupferstichkabinett in der Kunsthalle widmet den Dürer-Schülern Sebald und Barthel Beham eine Ausstellung

„Das Verdienst des Künstlers ist, das Gewand zu gestalten, denn der Körper kommt von Gott“, sagte noch Leonardo da Vinci. Und für lange Zeit verwandten Künstler der Renaissance größte Mühe auf komplizierte Faltenwürfe. Solch inzwischen wenig beachteten Feinheiten sind in der Ausstellung zu studieren, die die Kunsthalle jetzt den Brüdern Beham widmet.

Um 1500 in Nürnberg geboren, sind die beiden Stecher Sebald und Barthel Beham der Dürerschule zuzurechnen. 1525 aus ihrer Vaterstadt wegen gotteslästerlicher Sympathie mit den revolutionären Protestanten verbannt, trennen sich ihre Wege. Barthel geht an den Hof nach München, Sebald geht in die Reichsstadt Frankfurt und arbeitet für die Buchillustration und den freien Markt.

Verkauft werden Variationen bekannter Dürerbilder, samt Monogramm „AD“ kopiert, sei es als Hommage oder wegen besserer Preise. Auch Tapetenmuster mit Satyrn umd Nymphen im Rankenwerk werden gedruckt, um blattweise zu einem raumabschließenden Fries zusammengeklebt zu werden. Sebald erstellt ebenso genaue Proportionsstudien von Mensch und Pferd wie symbolisch-moralische Blätter: statt mittelalterlicher Totentänze verbreiten sie die gebildete Melancholie einer Übergangszeit.

Religiöse Kämpfe und wissenschaftliche Forschungen, allegorische Bildung und antikische Lust prägen die zunehmend städtische Gesellschaft der Renaissance. Für sie ist das ländliche Volksleben schon so entfernt, daß es seit Dürer zum Bildthema werden kann. Für den humanistischen Menschen, der seinen Wappenspruch zugleich in Hebräisch, Griechisch und Latein drucken läßt, ist die Landschaft aber nicht das Feld des Bauern, sondern das Gefilde der antiken Götter und Heroen, wie hier die „Taten des Herkules“ zeigen.

Doch es ist auch die Zeit der Reformation und die andauernden Auseinandersetzungen führen zu Mengen politischer Graphik. Hier ist davon nur ein Blatt zu sehen: ein Disput zwischen Luther und einem papistischen Kirchenmann. Auf der traditionellen Seite steht auch der einst revolutionäre Künstler, ist es doch die römische Kirche, die die Kunst propagiert, während die Evangelen die Kirchen plündern.

Sebald hinterläßt ein Werk von allein 1270 Holzschnittmotiven in den eher deftigen Formen der deutschen Renaissance. Sein nur zwei Jahre jüngerer Bruder Barthel ist bereits stärker den eleganteren Italienern verbunden. Da sitzt eine „Heilige Jungfrau“ am offenen Fenster mit Ausblick auf eine Stadt: Bürgerlich gewandet, mit aufgestecktem Zopf statt eines Heiligenscheines auf dem Kopf stillt sie das Kind, Lesepult und Blumenvase bestimmen die vornehme Zimmereinrichtung.

Kunstgeschichtlich zählen die Behams zu den „Kleinmeistern“: Nicht etwa, weil sie nichts Bedeutendes gemacht hätten, sondern weil die Drucke oft kaum größer sind als heutige Sonderbriefmarken. Das ist ein Nachhall der Empfindung, Kupferstiche seien Schmuckstücke. Denn die Italiener, die mit dem Niello den Metallbilddruck erfunden haben, waren an kleinste Feinarbeit gewohnte Goldschmiede. Es ist also kein Scherz, wenn der Kurator Eckart Schaar rät, zum besseren Genuß der Ausstellung eine Lupe mitzubringen.

Hajo Schiff