Der Streit ist ausgestanden ausgestandenausgestanden“

■ Zwitter Volkshochschule: Horst Rippien, stellvertretender Leiter der Bremer VHS, im Gespräch über die Vergangenheit und Gegenwart einer Bildungseinrichtung für alle

Vor gut einem Jahr feierte die Bremer VHS ihren 75. Geburtstag; jetzt liegt das Buch zur Feier vor - eine Chronik mit Anspruch. Horst Rippien ist seit letztem Jahr stellvertretender Chef, hat allerdings niemand zu vertreten, weil die Direktorenstelle vakant ist. Der taz erzählte er, wer oder was das Programm bestimmt, warum es in den 70ern so viel Streit um die VHS gab und warum heute Frieden herrscht.

taz: 75 Jahre VHS - ächzt man da unter der Last der Tradition?

Rippien: Üüüberhaupt nicht! Die Volkshochschule ist historisch eine so neue Idee, die sich im Laufe der jüngeren Geschichte sehr stark verändert hat.

Sind Sie Historiker?

Nein (lacht), ich bin ursprünglich Slawist und Politologe. Für uns ist jetzt der 75ste Geburtstag der der Anlaß gewesen, uns intensiver mit der Geschichte zu beschäftigen: Wie haben sich die Programme entwickelt? Inwieweit entsprachen sie der gesellschaftlichen Situation?

Wer hat denn jeweils die Programme bestimmt? Der Chef?

Das waren einerseits die Programmplaner, die sagten zum Beispiel in den 70ern: das halten wir für gesellschaftlich relevant. Und andererseits waren es Angebotsstrukturen; es kamen Leute und sagten: Ich kann dieses und jenes und würde es gern unterrichten. Bis heute arbeiten wir mit vielen nebenberuflichen Lehrkräften. Das ist konstituierend für die gesamte Volkshochschulgeschichte gewesen. Früher waren das Leute, die in ihrem Beruf etwas konnten und das am Abend oder am Wochenende an andere weitergegeben haben. Heute ist die Situation nach 15 Jahren Akademikerarbeitslosigkeit natürlich etwas anders. Volkshochschule hat immer eine Angebotsstruktur, weil sie freiwillig ist. Wir können zwar Bedürfnisse wecken, aber wir müssen auch Bedarfe befriedigen.

In den 70ern gab es viel Streit um die VHS.

Damals hat die Volkshochschule versucht, etwas für die Entwicklung der Stadtgesellschaft zu tun. Erwachsenenbildung muß, das ist ein Auftrag aus dem Weiterbildungsgesetz, eine Teilhabe am öffentlichen Leben besser möglich machen. Das hieß in der Zeit, einen sehr gesellschaftkritischen, staatskritischen Ansatz zu verfolgen. Das hat natürlich konservativen Kräften nicht gepaßt. Andererseits hat sich der Streit daran entzündet, daß Vorgaben des Senates nicht schnell genug umgesetzt wurden, d.h.: Wie viele Arbeiter erreicht die Volkshochschule? Schon ein Jahr, nachdem man angefangen hatte, Zielgruppenarbeit ins Programm aufzunehmen, hat der Senator der VHS vorgeworfen, immer noch nicht genügend Arbeiter zu erreichen. Diese Vorwürfe wurden mit den politischen Auseinandersetzungen um die Freiräume der VHS vermischt; der Streit hat sich dann stark in der Figur des Direktors Schloesser zugespitzt.

Die VHS ist ja auch ein Zwitter: sie ist ein Stück Behörde und versteht sich auf der anderen Seite als unabhängig.

Richtig. Sie reklamiert für sich natürlich auch die Freiheit der Lehre, und das beißt sich sofort, wenn der Geldgeber mit dem, was gelehrt wird, nicht einverstanden ist. Eine schwierige Situation für die VHS: in der Presse damals war sie immer nur mit diesem politischen Streit vertreten, nie mit ihrem Programm. Dazu kommt, daß gleichzeitig, 1979, die ersten flächendeckenden Mittelkürzungen einsetzten.

Ist die Volkshochschule befriedet worden?

Nein, überhaupt nicht. Kein Stück. Die Mitarbeiter haben bis heute nicht gesagt, wir gehen in die innere Emigration. Es ist nach wie vor der Anspruch vorhanden, und der schlägt sich im Programm nieder, so etwas zu bieten wie Hilfestellung zu einem selbstbewußten, kritischen Umgang mit gesellschaftlicher Realität. Doch die gesellschaftliche Diskussion hat sich geändert. Es sind völlig neue Themen hinzugekommen. Da ist der gesamte Umweltbereich, in dem wir sehr viele Angebote haben etwa zur Verkehrspolitik, zum Umweltschutz, zur Umweltpolitik, zu Ökologie am Arbeitsplatz. Neu dazugekommen sind Bereiche wie „Frauen“; 1979 gerade in den Anfängen,. Heute ist der Frauenbereich eigenständig und selbstverständlich. Der Bereich „Ältere“ ist neu, mit Fragen wie „Mein Lebenspartner ist nicht mehr da“ oder „Die Enkel sind weiß Gott wo.“ Dann der gesamte Gesundheitsbereich, der sich auch um Gesundheitspolitik kümmert.

Gab es in den letzten fünf Jahren mal Streit um das VHS-Programm?

Der Streit, um den es Ende der 70er ging, ist ausgestanden. Die VHS hat ihre relative Planungsautonomie. Berufsverbote, Terroristenhatz, Abbau von Bürgerrechten, das hat damals alles durchgeschlagen auf die Behandlung der Volkshochschule; das ist aber heute nicht mehr die aktuelle politische Situation. Heute geht es eher darum, für die VHS einen garantierten Rahmen herzustellen. Heute leiden wir eher darunter, daß sich die Politik nicht für uns interessiert.

Ist vielleicht die VHS heute keine Weiterbildungs-, sondern eher eine Freizeiteinrichtung ?

Überhaupt nicht. 70 Prozent unserer Angebote finden tagsüber statt. Bildungsurlaube, Wochenendseminare, Lehrgänge. Wir haben einen großen Bereich an beruflicher Bildung, einen großen Bereich politische Bildung. Im Bereich „Allgemeine Bildung“ gibt es natürlich eine ganze Reihe Angebote, die mit Freizeitgestaltung zu tun haben. Der Sprachenbereich ist aufgehängt im Spannungsfeld zwischen Beruf und Freizeit. Natürlich lernen bei uns Leute Französisch, um in Frankreich Urlaub zu machen. Aber genau so viele lernen es, weil es bei der Arbeit erwartet wird.

Geht man zur VHS aus Gründen der Kontaktsuche?

Es gibt ein Bündel von Motiven, zur Weiterbildung zu gehen, ein Kontaktbedürfnis ist ganz häufig mit dabei. Nicht in dem Sinne: VHS als Kontakthof, und da lerne ich jetzt den Mann oder die Frau fürs Leben kennen. Aber Weiterbildung passiert gemeinsam mit anderen. In diesem Sinne ist der Integrationsgedanke konstituierend für Volkshochschule.

Haben Sie selbst an VHS-Kursen teilgenommen?

Natürlich! Zum Beispiel an einem Kurs „Einladung zum sokratischen Gespräch“. Ich habe hier ein Zertifikat der „University of Camebridge“ erworben, EDV-Kurse belegt und Französisch gelernt - lang und schlapp.

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