Leiche auf Reisen

■ Neu im Kino: „Guantanamera“, ein kubanisches Road Movie mit dem Flair einer lateinamerikanischer „Telenovella“

Man kann schon fast von einem Sub-Genre sprechen: den „Coffin-Road-Movies“. In den letzen Jahren haben nun schon mindestens drei Regisseure Särge in Autos durch amerikanische Landschaften fahren lassen: Zuerst Kaurismäki mit seinen „Leningrad Cowboys“, dann der Kanadier Bruce McDonald in „Highway 61“ und nun Tomas Gutierrez Alea zusammen mit Juan Carlos Tabio in „Guantanamera“.

Natürlich sind die Möglichkeiten für komische und dramatisch Verwicklungen dabei so naheliegend, daß sich solche Geschichten fast wie von selbst erzählen: die sperrigen Kisten sind schwer zu transportieren, die Leichen können verschwinden, gestohlen oder verwechselt werden und aus dem Kontrast zwischen der gebotenen Pietät und den Absurditäten der Reise kann man leicht komödiantische Szenen entwickeln. Genau so ist „Guantanamera“ angelegt: Der Humor des Films ist deftig, und man mag kaum glauben, daß diese Farce von den gleichen Filmemachern gemacht wurde, die sich in „Erdbeer & Schokolade“ so kultiviert und subtil gaben. Hier herrscht eher die Ästhetik und Dramaturgie der „Tele-Novellas“ vor, der lateinamerikanischen Endlosserien, in denen immer in den grellsten Farben geliebt, gelitten, gefeiert und gestorben wird. Nichts wird ausgelassen: Auf der Fahrt entwickelt sich eine feurige Liebesgeschichte, die Tote im Sarg erscheint einem trauernden Mitreisenden ständig als Vision eines jungen Mädchens, und ganz nebenbei gibt es auch noch eine Geburt im fahrenden Auto. Alea und Tabio ziehen hier alle Register des trivialen Unterhaltungsfilms und können gerade deshalb soviel Kritik an den Zuständen in Kuba in den Film hineinschmuggeln, daß man ihre Schlitzohrigkeit nur bewundern kann. Die Reise einer Leiche quer durch Kuba ist nämlich deshalb so absurd, weil sie gemäß eines neuen „wirtschaftlichen Staatsplanes für die Totenüberführung“ vonstatten geht. Nach diesem hirnrissigen Plan müßen auf der Fahrt in jeder Provinz die Fahrzeuge gewechselt werden, und die abenteuerlichen Verwicklungen entstehen daraus, daß ein mitreisender „Beerdigungsinstitutsbeamter“ sich durch strengste Planerfüllung profilieren will. „Wir haben die absurden Dinge nicht erfunden. Sie sind Teil unserer alltäglichen Realität“ so Alea. Und wegen dieser zweiten Ebene ist „Guantanamera“ auch für europäische Zuschauern interessant, die sich nicht unbedingt von der Romanze zwischen dem Fernfahrer Mariano und der Funktionärsgattin Georgina mitreißen lassen. Denn der Leichentransport fährt durch ein armes, heruntergekommenes Kuba, in dem die Mißwirtschaft überall ins Auge sticht. Überall blüht da der Schwarzhandel, nur mit US-Dollars kann man wirklich etwas kaufen, satt essen kann man sich nur in illegalen, versteckten Restaurants, und die Menschen reisen, wie Vieh zusammengepfercht, auf den Ladeflächen der Lastwagen, weil zu wenig Busse fahren. Die einzige, wirklich lächerliche Figur des Films ist dann auch der ehrgeizige Funktionär, der sich in seinen Träumen als Führer der Massen auf einem Sockel stehen sieht und seiner Frau nicht einmal ein schönes Kleid gönnt. Alle anderen Figuren des Films mühen sich im sozialistischen Alltag ab und behalten ihre Würde und Heiterkeit trotz der allgegenwärtigen Misere. Die respektlose Kritik und der ungeschönte Realismus sind nur so nahtlos mit den Konventionen des vergnüglichen Reisefilms vermengt, daß man kaum merkt, wie geschickt das alles inzeniert ist.

Wilfried Hippen

tägl. 17.30 und 20.30 Uhr, Sa. auch 23 Uhr, Atlantis