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SanssouciNachschlag

■ Boudoirzauber in Mauergrau: Bowie over Berlin

„Hello Börlin“, sagt er nicht, aber am Ende des ersten Lieds kommt dann doch ein genuscheltes „It's good to be back!“ Und wenn's nicht ganz gelogen ist, kann Sir David Bowie damit nur die Rückkehr nach „Kreutzburg“ meinen (so stand es im offiziellen Presseheft), zu Schwere, Konzept und „Kunst“ – sinnfällig vorgegeben durch den Deutschlandhallenhimmel abtastende Ufa- Flakscheinwerfer sowie eine Farbgebung in den Schattierungen Mauergrau und Klaustrophobieblau. „Ouvrez le chien“ (Öffnet den Hund?) ist über der Bühne gelettert, und auch wenn niemand weiß, was das genau zu bedeuten hat, ist es doch irgendwie Fin de siècle und paßt gut zum Untertitel der neuen Bowie-CD „Outside“, die bombastreich einen „nichtlinearen barbarischen Drama-Hyper-Zyklus“ beschreibt. Die Aktionen auf der Bühne durch mein im Tchibo-Merchandising erstandenes Opernglas zu verfolgen ist diesmal also gar nicht so verkehrt. Viel Boudoirzauber unter plissierten Gardinen, Discokugeln, im Hintergrund ein Gipsfigurenkabinett, das aber weder theatergerecht explodiert noch sonstwie aus seiner stummen Zeugenschaft heraustritt. Bowie funkt sich durch die bleischweren Nummern seines in Kooperation mit Brian Eno erstellten Konzeptalbums und schwingt die Hüften zum ziemlich täppischen Tanz.

Zu goutieren ist offenbar ein heroischer Verzicht: Der Künstler will für seine Gegenwart geliebt werden, nicht für irgendwelche Irrungen und Wirrungen seiner bald 30jährigen Karriere. Womöglich soll das der „wahre“, der Antimaskeraden-Bowie sein, der christusgleich die Arme öffnet. Doch die Tour ist lang, und das Volk dürstet. Die Kommerzienräte haben auch ein Wörtchen mitzureden, so daß im Laufe der Show immer mehr populärer Zündstoff untergejubelt wird: Nicht nur das von Nirvana revitalisierte „The Man Who Sold the World“, sondern auch „Diamond Dogs“, „Under Pressure“ und „Teenage Wildlife“. Sie sind es, und sie sind es nicht: Bowie singt die alten Nummern wie postmoderne Fußballhymnen.

Welche Art von Übertragungsliebe im Publikum am Werk ist, was den Applausreflex auslöst bei diesen oberflächenbehandelten Revuenummern einer deutlich erkalteten Leidenschaft, ist noch schwerer zu enträtseln als bei vergleichbaren Phänotypen des erwachsenenorientierten Rock. Die Mucke, die Arbeit, der Fleiß? Die olympische Idee – dabeisein ist alles? Wahrscheinlich ist es unterm Strich die simple Laufzeit eines mit Erinnerungen gesättigten Modells. Ein Klassiker eben. Das Publikum auf den vorderen Rängen klatscht in die Hände, der Rest raschelt dezent mit dem Trenchcoat. Thomas Groß

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