Black Box oder Kristallpalast

Wettlauf der Messen: Während Berlin nur wächst, entsteht Leipzig neu. Teil V der Serie „Orte im Wandel – Visionen für Berlin“  ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann

Sie ist nicht zu übersehen, egal, ob man sich mit Bahn, Auto oder Flugzeug nähert: Die zentrale Glashalle der neuen Messe Leipzig, die in gut acht Wochen eingeweiht wird. Dagegen dürfte kaum einer der 470.000 Besucher, die sich vom 19. bis 24. Januar auf dem Berliner Messegelände drängelten, die vier neuen Hallen aufgefallen sein, die zur Grünen Woche erstmals benutzt wurden.

Beide Projekte sind Teil eines ungeheuren Baubooms, der alle größeren Messeplätze erfaßt hat. Bis zur Jahrhundertwende wird das Angebot in Deutschland um 200.000 Hallen-Quadratmeter wachsen. Mit der Fläche wächst die Konkurrenz und damit die Bedeutung der Architektur. Auch in Berlin wird – unbehelligt vom Rotstift der Großen Koalition – hochgerüstet. 1,8 Milliarden Mark läßt sich das Land Berlin seine größte Baustelle kosten.

In den Jahren der Mauer war die Messe Berlin vor allem ein „Schaufenster des Westens“. Die hochsubventionierten Warenschauen sollten die wirtschaftlichen Überlegenheiten des Westens dokumentieren: Internationale Tourismusbörse, Grüne Woche, Internationale Funkausstellung. Es waren Massenveranstaltungen, die den Überlebenswillen der Westberliner stärken sollten.

Neues Potential

Mit dem Fall der Mauer öffnete sich in der Region und in Osteuropa ein weiteres Kundenpotential. Die Besucherzahlen lockten immer mehr Aussteller. Die Publikumsmessen wurden zum Pflichtprogramm der jeweiligen Branche und zum Standbein der Messe Berlin GmbH. Damit sie nicht an andere Messeplätze abwandern, braucht man, so Pressesprecher Michael Hofer, vor allem eines: mehr Platz.

Bis Juli 1999 werden die Messehallen von rund 100.000 auf 160.000 Quadratmeter ausgebaut. Die Pläne lieferte der Kölner Architekt Oswald Mathias Ungers, der sich 1991 in einem Wettbewerb durchgesetzt hatte: Vier Quer- und ein Längsriegel mit 24 Hallen stoßen Richtung Süden bis zur Deutschlandhalle vor. Die Jafféstraße wird verlegt. Am noch stillgelegten S-Bahnhof Eichkamp entsteht ein neuer Haupteingang. Der erste Bauabschnitt am Sommergarten ist jetzt fertiggestellt. Schon an der Fassade läßt sich ablesen, daß es im wesentlichen um Funktionalität geht. Das strenge Quadratraster aus Stahl und Terracottakacheln verkündet: Messebau heißt Kisten stapeln. Aus Platzmangel werden die Hallen doppelstöckig ausgeführt und in die Erde abgesenkt. Über ein aufwendiges, kilometerlanges unterirdisches Rampensystem können Lkw bequem bis zum Stand vorfahren. Im Inneren wird die gestapelte Kiste zur fensterlosen Black Box. Ob Licht, Ton, Wasser, Daten aus dem Glasfaserkabel oder nur heiße Luft: Ein Doppelboden macht alle Medien an jeder Stelle verfügbar. Diese Maßnahmen sind teuer und dienen vor allem den Ausstellern. Jedem werden alle Möglichkeiten geboten, den Besucher für sich zu interessieren. Dieses Konzept kann nicht verhindern, daß das Konzert übereifriger Solisten in einem Getöse endet, das eher das Gegenteil erreicht.

Darüber hinaus macht die Architektur keine Angebote. Lüftungsschlitze, Hinweistafeln, ja sogar die Kaninchenställe unterwerfen sich mit großer Perfektion der Raster-Ordnung, um nicht mehr zu sein als ein neutraler Hintergrund. Im Messeprospekt heißt es stolz: „Keine halleneigene Deckenarchitektur lenkt von den Ständen der Aussteller ab.“

Selbst dort, wo die Gebäudefläche nicht vermietbar ist, geht es nur darum, schnell zum nächsten Stand zu kommen. In den wenig großzügigen, klinisch weißen Treppenhäusern findet sich kaum eine Sitzbank. Wenn Pressesprecher Hofer jetzt über Pflanzkübel nachdenkt, ist das allenfalls Kosmetik. Auf der Grünen Woche geht das Kalkül auf: Wer sich an den Batterien von Stallhasen sattgesehen hat, wird müde an einem der zahllosen Freßstände Platz nehmen. Doch gehört der plumpen Verkaufsschau die Zukunft? Gerade die Leitmessen mit ihren vielen Fachbesuchern entwickeln sich weg von der reinen Order- und Produktinformations- Schau. Das erledigen die Datennetze der Telekom heute schneller. Es zählt vielmehr das Zwischenmenschliche, der persönliche Kontakt.

Dafür versucht Leipzig den passenden Rahmen zu liefern. Die neue Messe wird am 13. April mit der „Auto Mobil International“ eröffnet. Mit der DDR war auch das von ihr geschaffene Messe- Biotop untergegangen. Die Sanierung des maroden Geländes drohte den Betrieb auf Jahre zu unterbrechen. So wagte man mit einem Kraftakt einen Neuanfang jenseits der Stadtgrenze.

Sinnbild Aufbau Ost

Die Hallen sind auch in Leipzig eher nüchtern-funktionell: künstlich beleuchtet, mit flexiblem Grundriß. Doch damit gaben sich die Hamburger Architekten von Gerkan, Marg und Partner nicht zufrieden. In dem engen Rahmen von 1,3 Milliarden Mark – also deutlich weniger als in Berlin – errichteten sie nicht nur 100.000 Quadratmeter überdachte Ausstellungsfläche und ein Kongreßzentrum samt Verkehrsanbindung. Es reichte auch noch für eine zentrale Erschließungshalle. Doch das Glasgewölbe ist viel mehr als ein markantes Entree. Mit diesem ingenieurtechnischen Wunderwerk baute man sich ein Symbol, nicht nur für die Messe: Mit seinen 225 Metern Länge und 75 Metern Breite ist es groß genug, um gleich den gesamten Aufbau Ost zu versinnbildlichen.

Es ist ein Symbol mit Aufenthaltsqualität: Die Glashalle mit Palmen und Wasserspielen bildet eine Gegenwelt zum Trubel der Messe, macht sie zu einer „menschlichen“, um in der Prosa seiner Erbauer zu sprechen. Hier ist man so frei, wie man auf einer Messe nur sein kann. Der große, glasbedeckte Raum verwandelt sich in einen Zauberspiegel der Phantasie.

Der Kristallpalast von Sachsen ist eine Vorleistung für Aussteller und Besucher, um den Neuanfang in der Einöde schmackhafter zu machen. In Berlin ist das nicht nötig, meint Pressesprecher Hofer. Als eine der letzten Messen in Deutschland liegt sie nahe am Zentrum (West), profitiert von Hotel- und Transportkapazitäten und dem Mythos Hauptstadt. Was beim Blick auf den Stadtplan funktionieren mag, stellt sich in der Nahsicht ganz anders dar: Eingeklemmt zwischen Autobahnkreuz und verschlafenen Villensiedlungen hat die Messe nur einen Nachbarn: das SFB-Funkhaus. Das Ausstellungsgelände ist eine monofunktionale Festung. Umgeben von einem Ring aus Parkplätzen hält es städtisches Leben auf Distanz. Mit dem Ausbau wendet sich die Messe von der Stadt ab und wird womöglich zum Schaufenster im Grunewald.

Bisher versucht die Messe Berlin nur groß und funktional zu sein. Wenn kurz vor der Jahrtausendwende alles fertig ist, wird sich die Messelandschaft verändert haben. Datennetze werden „Erreichbarkeit“ nur mehr nach Sekunden messen. Und für persönlichen Kontakt sind weniger Kapazitäten als Qualitäten gefragt. Messe ist, wenn alles zusammenkommt, sagt Michael Hofer. Fragt sich bloß: wo?

Teil VI am 2. März: „Friedrichstraße – Architecture Nouvel“