piwik no script img

Wand & BodenBienen im Cockpit

■ Kunst in Berlin jetzt: Christine Schlegel, Olegs Tillbergs, Ulrike Grossarth, Gösta Röver

„Christine Schlegel schlegt alles“, hat ein Besucher im Gästebuch seiner Begeisterung Ausdruck verliehen. Spätestens ihr „Christianisierter Embryo“ rechtfertigt sie. Die Fotografie auf der quadratischen Leinwand zeigt ein Monsterwesen im Anatomieglas, das mit schwarzem Lack so übermalt ist, so christinisiert ist, daß daraus ein Priester mit diesem flachen Hut geworden ist, wie ihn im katholischen Italien die Pfaffen tragen. Übers Eck hängt „Ein steiler Zahn“: das Farbfoto eines Rehkitzes, dem ein angemalter Stoßzahn zur Ähnlichkeit mit Bambi verhilft. Vor den Bildern hockt ein kleiner Sandhaufen, in den eine Holzschachtel mit Versteinerungen und vertrockneten Früchten eingebettet ist. Das sieht ziemlich komisch aus, obwohl man schon versteht, daß „Reservate“ ein ernsthaftes Anliegen hat: die Welt, die wir nur noch als Umwelt kennen. Als verletzte Welt, der man in Reservaten anachronistische Denkmäler setzt. Weil hier überleben soll, was anderswo nicht überleben darf.

Christine Schlegel wiederholt diesen rettenden Wahnsinn in recht eigenwilliger Manier: für halbfertige Tierpräparate, die sie in den Kellern und Depots des Berliner Naturkundemuseums entdeckt hat. Sie bemalt deren fotografische Abbilder, die sie um Gras-, Sand- oder Erdinstallationen hängt. In der Erde steckt ein Vogelbaum, den ein ziemlich zerrupfter Specht schmückt, nebst einer mageren Ente und einem verblaßten Reiher. Vogelstimmen verwandeln die Galerie im Parkhaus Treptow in einen Dschungel. „Für mich, halbpräparierte Säugetiere und andere komische Vögel“, wie der Untertitel ihrer Ausstellung zutreffend lautet.

Bis 16. 2., Mi.–Sa. 15–19 Uhr, Puschkinallee 5

Olegs Tillbergs hat in der ifa- Galerie einen anderen Vogel vom Himmel geholt. Tillbergs ist der populärste Künstler Lettlands, der dort eine neue Art der Maschinenkunst vertritt. Im Cockpit einer MiG 27 im Stadtpark von Riga beheimatete er etwa einen Bienenstock. Und jetzt liegt das Bruchstück der Pilotenkanzel eines nicht weiter bezeichneten Militärflugzeugs sowjetischer Bauart kopfüber auf dem Galerieboden. An der Wand dahinter prangt ein großformatiger, mit anthrazitfarbener Atlasseide bespannter Rahmen. Links ist die Seide gefältelt und mit Rosetten geschmückt. Das Motiv erinnert an die Innenbespannung von Särgen. Vor einer weiteren Variante des Atlasbildes sind 13 verrostete, gesprungene Eisenschachteln aufgereiht, die karge Reste von Laubblättern enthalten; vor einer anderen Variante steht ein Tisch, auf dem eine kleine Folklore-Puppe mit zwei Schraubzwingen in ein schwarzes Gummistück gepresst wird. Braunes Fett thront schließlich auf einem kleinen Brett in Überkopfhöhe und sickert in einen weißen Seidenstoff, der sich gelblich verfärbt. „Der Traum eines kleinen Jungen in einem stürzenden Flugzeug“ zeigt einmal mehr: Die Katastrophe ist das Hauptstück der Moderne. Tillbergs setzt Tod und Technik feierlich und schön in Szene. Das mag seinen Grund darin haben, daß die Moderne im Osten gerade angekommen ist.

Bis 10. 3., Di.–So. 14–19 Uhr, Friedrichstraße 103

Die penible Farbzeichnung „Abendland I — Logiker/Ödipus“ von Ulrike Grossarth in der Museum-Reihe von Art Acker e.V. räumt mit den Mythen des Abendlands auf. Der Logiker sieht wie ein x-beliebiger Angestellter aus und Ödipus ist sein blinder Zwilling. Der Logiker schaut auf eine rote halbrunde Form, Ödipus, so er könnte, auf seine drei schwarzen Blindenpunkte. Zwischen beide schiebt sich die Bleistiftzeichnung zweier Kirschen und die Farbzeichnung einer roten. Sofort beginnt man reflexartig die übergeordneten Kategorien zu suchen, die das Vereinzelte in die größere Einheit überführen. Dazu läßt sich im Katalog lesen, daß nach Aristoteles Stülpnase und hohle Nase keinesfalls als das Gleiche betrachtet werden dürfen. Das führt nur zu „stülpigen Nasen Nasen“. Bunt und leichthin führt Ulrike Grossarth schließlich den mengentheoretischen Kategorisierungswahn in einer transparenten Glasmenagerie halbierter Gefäße, die hin und wieder mit roten und orangefarbenen Glasscheiben hinterlegt sind, und zwischen denen weiße Gipsspulen stehen, auch visuell in die Irre.

Bis 2. 3., Do.–Fr. 16–19, Sa. 11–14 Uhr, Ackerstraße 18

Christine Schlegel, die in Dresden lebte, bis sie 1986 nach Amsterdam und dann nach West- Berlin übersiedelte, ist auch als Experimentalfilmerin bekannt. „Röver-Film“ karikiert dagegen (das Schielen nach) Hollywood. In nur fünf Filmplakaten kommentiert Gösta Röver ihre Zeit an der HdK und ihre Meisterschülerschaft bei Dieter Appelt und evoziert zugleich die Ahnung angestrengter deutscher Autorenfilmkunst. Ihre Idee, Standardsituationen des Films künstlerisch zu zerfleddern ist nicht neu, aber sie setzt – zu Recht – auf die bösen Details. Auf das professionell anmutende Dolby-Stereo-Zeichen, und darauf, daß ihre Filmplakat- Cowboys mindestens Richard Prince würdig sind. Und wenn man im Gewirr der Graphitlinien, die die Wände eines Raums in der Galerie Vierte Etage überziehen, die Notrufsäule erkennt, wird der Witz der Rauminstallation „Vorfall im Park“ schockhaft klar. Die weiße Gummimatte hinter dem weiß-roten Plastikband der Polizeiabsperrung markiert natürlich die Leiche. Mehrteilige schwarzweiße Fotoserien sind in ihrer Penetranz unwiderstehlich. „Jörg und Olli“ zeigt die bekannte Schlägerszene, „Verfolgt“ die einsame junge Frau in der nächtlichen Straße, „Der V-Mann“ trägt einen Ledermantel, was sonst, und wartet in einer Fabrikhalle, wo sonst, an sein Auto gelehnt auf??? Wen sonst als den Bundesnachrichtendienst?

Bis 9.3., Mi.-Sa. 16-19 Uhr, Bregenzer Str. 10 Brigitte Werneburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen