■ Ökolumne
: Ich bin ratlos Von Felix Berth

Ein Blick zurück in die jüngste Vergangenheit: München 1990. Die Stadt wird von einer komfortablen rot- grünen Mehrheit regiert und bemüht sich um fortschrittliche Verkehrspolitik mit allem: Schluß mit riesigen Tunnelprojekten für Autos, statt dessen Tempo- 30-Zonen, Regeln fürs Anwohnerparken und Ausbau der Straßenbahn. Selbst der CSU-Ordnungsreferent Hans-Peter Uhl begibt sich auf diese Linie und verspottet die verbliebenen Autofetischisten seiner Partei als „verkehrspolitische Neandertaler“.

Sicher, manchmal habe ich auch damals genörgelt, weil Pläne zu vorsichtig waren oder zu langsam umgesetzt wurden. Aber immerhin: Das Problem war korrekt beschrieben – es fahren zuviele Autos in der Stadt. Und die Richtung stimmte auch – Busse und Bahnen, Radler und Fußgänger brauchen bessere Bedingungen.

Ein halbes Jahrzehnt später ist von alledem nichts mehr übrig. Die verkehrspolitische Diskussion kennt in München seit einiger Zeit nur noch zwei Schlagworte. Das erste lautet Schikane. Und das zweite heißt Stau. Beide zusammen ergeben folgende Argumentation: „Die Schikanen, die SPD und Bündnisgrüne errichtet haben, produzieren den Stau auf den Straßen. Und der ist verantwortlich für Luftverschmutzung und Lärm, für vergeudete Arbeitszeit, für Streß, Ärger und Umweltbelastung.“

Die CSU hat Erfolg damit, gespenstischen Erfolg. Wie in den Jahrzehnten, die noch von einer autogerechten Stadt träumten, fordert sie „freie Fahrt für München“ und will dafür drei milliardenteure Autotunnels bauen lassen. Über vierzig Prozent der Stimmen würde die Auto-CSU nach einer aktuellen Umfrage bei der Kommunalwahl im März bekommen. Die SPD sackt nach der gleichen Prognose auf ihr schlechtestes Ergebnis seit 1948 ab; die Bündnisgrünen stagnieren.

Warum dieses Rollback in der Münchner Verkehrspolitik gelungen ist? Tut mir leid, keine Ahnung. Ich habe nicht mehr zu bieten als Vermutungen.

Die erste Vermutung betrifft die CSU-Strategie. Der Partei ist es anscheinend gelungen, das unübersichtliche Problem „Verkehrspolitik“ auf ein Symbol zu reduzieren – eben auf „den Stau“ und die vermeintlich ursächlichen „Schikanen“. Und dabei arbeitet die CSU mit Konzepten aus der Ökoszene. Die Luftverschmutzung wird nicht länger geleugnet, im Gegenteil. Leistungsfähigere Straßen werden als Rezept dagegen angepriesen: Tunnel = freie Fahrt = weniger Abgase. Naiv gemalte Kinder spielen unter einem Baum, eine leuchtende Sonne und irgendwo zwei lächelnde Autos, die niemals jemandem wehtun könnten, schmücken das Wahlplakat. Werte CSU-Strategen, ich gratuliere.

Viel schwieriger ist die Frage zu beantworten, wo die Fehler von SPD und Grünen gelegen haben. Die Erklärung, die viele Sozialdemokraten bevorzugen, lautet: Wir haben den Wähler ökologisch überfordert. Und jetzt rächen sich wählende, wütende Autofahrer.

Daraus leitet der Münchner Sozialdemokrat dann seinen verkehrspolitischen Grundsatz ab: Bloß nichts unternehmen, was nach „Schikane“ aussieht. Das ist sogar zu verstehen. Wer sich, wie der Münchner Oberbürgermeister an einem Tag von Betriebsräten wegen „Autofeindlichkeit“ kritisieren lassen muß und am nächsten Tag das gleiche bei einem Fest in der Künstlerschickeria zu hören kriegt, der fängt automatisch an zu grübeln, ob es einen Konsens für eine fortschrittliche Verkehrspolitik gibt.

Die Gegenthese hat allerdings auch eine gewisse Überzeugungskraft. Demnach ist gerade das Zaudern der SPD ihr Problem. Dadurch wird ihr Profil diffus, dadurch werden immer weniger Wähler an die Urnen gelockt – der SPD fehlen enorm viele der Nichtwähler. Die Alternative wäre eine konfliktorientierte Strategie: „Wir schaffen Platz für Kinder, nicht für Autos“ war vor ein paar Jahren ein SPD-Slogan, den die Partei heute nicht mehr wagen würde.

Welche These ist überzeugender? Ich bin ratlos. Ich weiß nur, daß die Antwort die nächsten Wahlen entscheidet. Und zwar nicht nur in München, sondern überall dort, wo eine Partei merkt, daß „Staus“ und „Schikanen“ hervorragende Wahlhelfer sind.