Schöne Zeremonie der Irritation

■ Sonntagmorgens im Thalia: John Cage in Wort und Ton

Im Thalia–Mittelrangfoyer leuchtet der Nachkriegs-Sternenhimmel auch vormittags. Im Raum verteilt: ein Konzertflügel, zwei Metall-Stelen, auf der Treppe Notenpulte und, in zu knapp bemessenen Stuhlreihen, das trotz aller möglicher Winter-Divertissements zahlreiche Publikum.

John Cages Vortrag über nichts ist allerdings selbst eine schöne und höchst intelligente Art Unterhaltung. Weniger vorgetragen denn dargeboten von Thalia-Ensemblemitglied Hannes Hellmann, der ab dem ersten Satz seinen ganz eigenen Duktus gefunden hat, lebt der Text (in der perfekten Jandl-Übersetzung) auch heute noch durch seine Mischung aus Witz, Poetik und Unbestimmtheit.

„Ich bin hier, und es gibt nichts zu sagen“, beginnt Cages Vortrags-Komposition für eine Stimme, und Hellmann, die Hand wie als Schutz vor den Mund gehalten, dann einen Stock als Taktinstrument nutzend, hat das Publikum schon so gefesselt, daß zu befürchten steht, er könne nun alles machen – und das Verstörende an Cages Werk sei schon an das rein Unterhaltende verloren.

Trotz der großen Poesie der Bilder, die der Erfinder des Zufalls in der Komposition wie nebenbei entwickelt, will er nämlich keinerlei Erwartungshaltung beliefern, keine Weisheiten vermitteln. Wie viel er dennoch über sich, seine Art der Arbeit, seine Gedanken zu Tönen, Noten, Intervallen, mitteilt, dürfte 1950, als Cage den Vortrag zum ersten Mal hielt, im Skandal enttäuschter Erwartungen kaum bemerkt worden sein. Trotz der bis ins Komödiantische reichenden Umsetzung Hellmanns wirkt das Provozierende, das Cage sich wünschte, jetzt aber auch noch – spätestens, wenn Cage eine Textpassage scheinbar endlos wiederholen läßt. Dann wird Hellmann selbst zum Zeremonienmeister der Irritation, und das Publikum wird unruhig, hüstelt, rückt die Stühle.

Das im Anschluß gebotene Concert for Piano and Orchestra, gespielt von Christof Hahn (Klavier), Uwe Dierksen (Posaune), Christiane Hellmann (Flöte) und Anna Carewe (Cello) entwickelt dann aus den anfangs wie nebeneinander hingeworfenen Geräuschen eine Tonwelt, die auf so suggestive Weise schön ist, daß ihr Ende alle überrascht. Dabei hatte Cage selbst die Warnung mitgegeben: „Vorsicht vor dem, was atemberaubend schön ist, denn jeden Augenblick kann das Telefon klingeln!“

Thomas Plaichinger