Rückkehr des verlorenen Sohnes

■ Galerist Chris Steinbrecher ist zurück in Bremen / Zur Vernissage am Dobben 123 kamen alle

Im Gästebuch: eine dichtgedrängte Menschenschlange, in Grosz-Manier gezeichnet. Dazu der Satz: „Besucherströme wünsche ich Dir!“ Damit hatte sich Hauskünstler Heiner Franzen bei seinem nach Bremen zurückgekehrten Galeristen Chris Steinbrecher verewigt. Sein Wunsch wurde erfüllt. Am Freitagabend drängte die alte Fangemeinde nahezu vollzählig in die ehemaligen Räume der taz am Dobben, um die Wiedereröffnung der Galerie Steinbrecher bei einem „Tanz auf dem Vulkan“ mitzuerleben. Von den Künstlern über die Kulturvermittler bis zu den Kollegen von Buten & Binnen wollte sich keiner das Ereignis entgehen lassen. Verspricht man sich von Steinbrechers Rückkehr in die Hansestadt – nach seinem mehrjährigen, mißglückten Ausflug nach Potsdam – doch unisono „eine Bereicherung der Bremer Kulturszene“, wie Bürgermeister Henning Scherf es in einem Brief an den Galeristen formulierte.

Für Steinbrechers „Herzlich willkommen, ich bin wieder da!“, mit dem er die Gäste begrüßte, gab es dann auch begeisterten, dankbaren Applaus. Hatte man zuvor doch die jüngste Verdüsterung der städtischen Kulturperspektive durch den Rücktritt des Verwaltungsdirektors des Bremer Theaters, Rolf Rempe, ausgiebig debattiert und beklagt.

Daß der Galerist an einem solchen Abend forsch gegen alle resignativen Tendenzen anging, indem er erklärte: „Wir werden ein strammes Programm machen!“, war da natürlich Balsam auf die geschundenen Seelen der Kulturinteressierten. Erst recht, als dann ausgerechnet Kultursenatorin Bringfriede Kahrs eine Eröffnungsrede vor sich hin stammelte, in der sie mit Seitenblick auf den populären Galeristen bekannte: „Wir kennen uns noch gar nicht“. Woraufhin dieser prompt, zum großen Gelächter der Anwesenden, konterte: „Wir lernen uns kennen!“

Nachdem die Senatorin sich versichert hatte, daß dies doch hoffentlich nicht als Drohung gemeint sei, räumte sie schnell das Feld und überließ es dem kunstsinnigen Publikum, nach gewohntem Vernissagen-Ritual selber weiter über den Stellenwert der Kunst und über die neuesten Nachrichten aus der Szene zu fachsimpeln. Solches in geübter Manier zu tun und damit die Selbstvergewisserung des Insiders zu pflegen, war an diesem Abend zweifellos das Hauptmotiv, unter dem sich die Besucher in der Galerie eingefunden hatten. Die ausgestellten Werke spielten dabei nur eine dekorative Rolle. Marginalien, wie auch das Minikonzert von Hille Perl auf der Gambe und die von Brigitte Reuß vorgetragenen Chansons, die eine Besucherin treffend als „Claire Waldoff im 5. Aufguß“ titulierte.

Steinbrechers Anspruch, in seiner Galerie neben der Kunst ein ernstzunehmendes Programm aus Musik-, Literatur- und Theaterdarbietungen zu veranstalten, bewegte sich an diesem Abend jedenfalls auf einer allzu gefälligen Schiene. Ebenso die gezeigten Werke seiner „Künstlerfreunde“ (Steinbrecher), die viel im- und expressionistisches Epigonentum, aber keinerlei Experimente zeigten. Ob Elisabeth Loewes an Gauguin erinnernde Malereien, H.H. Grimmlings schwarzrotgoldene Visionen oder Erwin Heckmanns solide Skulpturen: Keine gewagten Konzepte, sondern seriöse Werke, die sich – wie das gesamte Galerieprogramm – hervorragend als erbauliches Beiwerk gesellschaftlicher Repräsentationswünsche eignen.

Genau damit aber dürfte Steinbrecher sicher den Nerv des hansestädtischen Kulturverständnisses treffen. Ging es am Eröffnungsabend doch weniger wie bei dem versprochenen „Tanz auf dem Vulkan“ zu sondern mehr wie in Botho Strauß' Vernissagen-Parodie „Trilogie des Wiedersehens“: Viel Make-up, viele Honoratioren und wenig Irritation. Bleibt zu hoffen, daß Steinbrecher mehr Mut zum Risiko beweisen wird, wie andere Galerien der Stadt dies zum Glück inzwischen tun. Dann wird er sicherlich die Bereicherung bringen, die man sich von ihm erwartet. Zumal sein Name ohnehin mehr für kulturpolitische Einmischung als für die Präsentation künstlerischer Avantgarde steht.

Moritz Wecker

65.(sic) Galeriekonzert am 16.2., 20 Uhr: Gottfried Richter, Maxim-Gorki-Theater, Berlin, singt Lieder von George Grosz