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Ein Mann der leisen Töne

Gesichter der Großstadt: Franz Schulz ist designierter nächster Bürgermeister von Kreuzberg und erster Grüner auf diesem Posten. Der Fall der Mauer führte den 47jährigen Physiker wieder in die Politik  ■ Von Dorothee Winden

Nun hat Franz Schulz sein Ziel doch noch erreicht, wenn auch auf Umwegen. Am 21. Februar wird er mit großer Wahrscheinlichkeit von der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zum ersten grünen Bürgermeister von Kreuzberg gewählt werden. Beim ersten Anlauf, als er sich im März vergangenen Jahres um die Spitzenkandidatur in seiner Partei bewarb, machte Baustadträtin Erika Romberg mit einer Stimme Mehrheit das Rennen. Nachdem die Grünen wegen der Verweigerungshaltung der SPD Romberg zurückziehen mußten, nominierten sie nun vergangene Woche Franz Schulz für das Bürgermeisteramt.

In der SPD gilt der Bezirksverordnete als „scharfer logischer Denker.“ In der eigenen Partei zählt der 47jährige Physiker eher zu den Realpolitikern. Er gilt als fleißig, ist in Haushaltsfragen ebenso versiert wie in der Baupolitik. Schulz, der in der letzten Legislaturperiode auch Vorsitzender der grünen BVV-Fraktion war, ist ein Mann der leisen Töne. Ob in der BVV oder auf grünen Versammlungen, er redet in gewohnt ruhiger Manier und glättet damit auch schon mal die Wogen. Der gebürtige Unterfranke kann integrieren, wirkt aber introvertiert und wenig charismatisch. Daß er auf Menschen zugehen kann, traut man dem zurückhaltenden Schulz weniger zu.

Sein Auftreten ist durch und durch seriös. Wer ihn nur im Jackett – mit grünem Igel am Revers – kennt, kann sich kaum vorstellen, daß Schulz in den siebziger Jahren lange Spaghetti-Haare und eine zerrissene Lederjacke trug. Damals – sein Sohn war gerade geboren – widmete er sich dem Aufbau des ersten besetzten Kinderladens Berlins in der Cuvrystraße. Er schlug sich mit den Tücken der antiautoritären Kindererziehung herum und promovierte danach „um ein Stück klüger“ in Theoretischer Physik.

Schulz, der seit 18 Jahren in Kreuzberg lebt, stammt aus handwerklich-bürgerlichem Milieu. Nach einer Lehre als Farblithograph wurde er nach einer Begabtenprüfung zum Kunststudium in Darmstadt zugelassen. Am Abendgymnasium in Frankfurt/ Main holte er das Abitur nach. Er verweigerte den Wehrdienst und wurde während des Studiums durch die 68er-Revolte politisiert.

Mit politischen Freunden gründete er die Zeitschrift Wechselwirkung, ein Forum für die Auseinandersetzung zwischen Naturwissenschaften und Politik. Später arbeitete er bei Info-Bug mit, einer Zeitschrift der undogmatischen Linken. Mit den Grünen hatte der Traditionslinke damals wenig am Hut. Sie erschienen ihm als „bürgerlich, spießig, strickend“, eben „Müsliesser“.

In die Politik fand Schulz erst wieder mit dem Fall der Mauer 1989. „Ich gewann die Überzeugung zurück, daß Menschen politische Verhältnisse radikal verändern können.“ Im Februar 1990 trat Schulz bei den Grünen ein und fand hier spät eine politische Heimat. Dabei sei er „keiner, der permanent im Mainstream schwimmt“, sagt Schulz über sich. Sein Vorschlag, arbeitsmarktpolitische Projekte mit Renovierungsarbeiten zu beauftragen und dafür Gelder aus dem Bezirksetat für baulichen Unterhalt zu verwenden, löste eine innerparteiliche Kontroverse aus. „Das wurde in der Bezirksgruppe als Privatisierung gebrandmarkt. Außerdem wären im Hochbauamt zwei Stellen überflüssig geworden“, sagt Schulz, der seine Initiative schließlich zurücknehmen mußte. „Das hat mich einige Sympathien gekostet.“ Seinen Rückhalt in Fraktion und Bezirksgruppe hat dies aber nicht nachhaltig geschmälert.

Als Bürgermeister will Schulz vor allem die hohe Arbeitslosigkeit im Bezirk bekämpfen. Mit seiner „grünen Standortpolitik“ tritt er ungewollt in die Fußstapfen seines Vorgängers Peter Strieder (SPD). Entsprechend bemüht er sich, sich von dem „Sonnenkönig“ abzusetzen. Kreuzberg soll nicht nur Vorreiter bei der Solartechnik werden, auch andere Öko-Betriebe will Schulz nach Kreuzberg locken. Seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Umwelttechnik dürften ihm hier zugute kommen. Auch die bezirkliche Umsetzung der Agenda 21, also die Förderung des Klimaschutzes, liegt ihm am Herzen. Als seine Hauptaufgabe sieht Schulz, dafür zu sorgen, daß die Kreuzberger nicht durch horrende Mieterhöhungen aus dem Kiez vertrieben werden. Beim Senat will er die Bedeutung „unserer Sanierungsgebiete intensiver vertreten“.

Die Projektelandschaft will er nach Möglichkeit vor dem Rotstift bewahren. Er setzt sich dafür ein, ressortübergreifend nach Finanzreserven zu suchen. Nicht zuletzt will er sein Amt nutzen, um sich für MigrantInnen einzusetzen. Er will das von den Grünen vorgeschlagene Multi-Kulti-Amt in der Kreuzberger Verwaltung einrichten und dafür sorgen, daß die Gesundheitsversorgung von Migranten durch ein „ethnomedizinisches Zentrum“ verbessert wird.

Das Bürgermeisterbüro wird Schulz übrigens von der Frau übergeben werden, an der er zunächst scheiterte: Amtierende Bürgermeisterin ist nach Strieders Aufstieg zum Senator Erika Romberg.

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