Bio-Tonne -betr.: Heinz Rudolf Kunze

Wer beruflich Platten hört, muß auch lesen. Denn je schlechter die Platte, je hoffnungsloser die sich mühende Gruppe („Band“), desto mehr bieten die den „Produkten“ beigelegten „Product-Facts“ Anlaß zu freudiger Erregung. Dort wird nämlich erklärt, was gerade diese Band so außergewöhnlich macht, und was für dufte Typen da mit „auch guten Texten“ vor sich hinrumsen. Das sei „echt mal was anderes“, heißt es oft. Ständig modifiziert wird zudem die außergewöhnlich inhaltsleere Analyse, daß der Texter zwar schon so seine Gedanken habe und sich mache, er aber nur „zum Nachdenken anregen“ wolle und eben „keinen fertigen Programme“ zu bieten habe. Das ist ehrlich und bedauerlich.

Diese Beilegezettel also werden in der Branche „Bios“ genannt, wegen Biographie und Abkürzung und Zeit ist Geld. Just flatterte mir nun die Bio von Heinz Rudolf Kunze, dem inzwischen wurstförmigen Deutschrocker, auf den Schreibtisch. Dem Bio- Müll entnahm ich Informationen darüber, welches Schicksalsgewitter 1988 Kunzes Hirnrinde anknabberte, und die mich zum glühenden Kunze-Apologeten machten: Damals nämlich „wirkte Kunze an den Aufnahmen des Parteiliedes der SPD ,Das weiche Wasser bricht den Stein‘ mit, schrieb zwei Titel für das Milva-Album ,Unterwegs nach Morgen‘ und komponierte ,für eine ZDF-Sendung über Aids das Titelstück‘“. Des weiteren wird er für „ein weiteres Highlight in Sachen Vielseitigkeit“ gelobt, denn: „Er übersetzte Karel Gotts tschechische Weihnachtslieder ins Deutsche.“ Schön auch, daß Kunze jetzt nach so vielen Zuarbeiterjobs nicht ohne ureigene Platte dastehen wollte, und diese auch noch „Einer für alle“ nannte. Ein Weichspüler für jeden Stein, ein Heinz Dampf in allen Sackgassen. Auf den Bio-Rhythmus der Plattenfirmen (zwanzigmal pro Minute den Kopf an die Wand) ist halt Verlaß. Benjamin v. Stuckrad-Barre