■ 21 Anhängern Ken Saro-Wiwas droht in Nigeria die Hinrichtung. Protestieren wir erst wieder hinterher?
: Wer bei Shell kauft, kauft Ogoni-Blut

Am 10. November 1995 wurde der Schriftsteller und Menschenrechtler Ken Saro-Wiwa erhängt. Die nigerianische Militärregierung unter General Abacha ließ ihn und sieben seiner Mitstreiter vor den Augen der Weltöffentlichkeit eiskalt hinrichten. Der Westen war empört, die Proteste waren groß. Doch heute, nur wenige Wochen später, hört man fast nichts mehr. Keine Empörung, kein Protest gegen die anhaltenden Verbrechen der Militärregierung im Auftrag des Shell-Konzerns. Am 6. Januar haben die Militärs sechs Ogoni während einer friedlichen Kundgebung im Ogoniland erschossen und es gab zahlreiche Verletzte. Shell setzt die Umweltzerstörung im Nigerdelta nach dem Motto „Come rain or shine, the show must go on“ fort.

Stimmen der Opposition und Kritik werden zum Verstummen gebracht. Oppositionsführer dürfen das Land nicht mehr verlassen. Nach unseren Erkenntnissen existiert eine Liste der Regierungsgegner, die in Europa und in den USA im Exil leben. Sie werden als Verräter ihres Landes bezeichnet, was bedeutet, daß sie wie solche behandelt würden, wenn die Machthaber die Gelegenheit dazu hätten: Sie würden zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Das Ogoni-Volk leidet mehr als jemals zuvor. 21 Anhänger Ken Saro-Wiwas werden bald vor dasselbe Militärtribunal gestellt. Auch ihnen drohen Todesurteile und Hinrichtung. Warten wir wieder auf die Hinrichtungen, bevor wir handeln?

Nach der Exekution der gewaltlosen Menschenrechtler im November hat die EU die Entwicklungshilfe sofort eingestellt und das Waffenembargo verschärft. Das sind jedoch nur „Peanuts“ im Vergleich mit den Verbrechen, die das Militär in Nigeria begeht.

Das Waffenembargo schließt die alten, bereits bestehenden, Verträge mit der Militärregierung nicht ein. Mit diesen alten Verträgen kann die Militärregierung die Diktatur ihrer mörderischen Unterdrückung fortsetzen. Und die Einstellung der Entwicklungshilfe kann die Situation Nigerias weder verbessern noch verschlechtern, denn die Bevölkerung hat von den Zahlungen nicht profitiert.

Und Shell handelt mit Hilfe von Lügen und Arroganz weiter moralisch unverantwortlich. Der Konzern hat 38 Jahre lang Milliardenumsätze auf Kosten der leidenden Menschen im Nigerdelta gemacht. Weil unsere Forderungen politischer Natur seien, sei Shell nicht verantwortlich zu machen, heißt es. So einfach ist es für Shell, sich der Verantwortung zu entledigen. Shell ist längst nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch politischer Partner der Militärs. In den vergangenen Jahren hat Shell das politische Schicksal Nigerias mitbestimmt. Warum nicht jetzt? Die Antwort ist einfach: Shell fühlt sich bei den verschiedenen Militärregierungen gut aufgehoben. Demokratie in Nigeria wäre ein Hindernis für Umweltzerstörung, billige Ölförderung und die Ausbeutung vor Ort. Nirgendwo in Europa könnte Shell so rücksichtslos und skrupellos seinen Geschäften nachgehen, wie es in Ogoniland passiert.

Aber die Tage der Verbrechen der Militärregierung und von Shell in Nigeria sind gezählt. „Wenn wir nicht heute Erfolg haben, so werden wir morgen erfolgreich sein“, hat Ken Saro-Wiwa einmal gesagt. Es mag etwas dauern, aber wir werden die Verbrecher für ihr Tun zur Verantwortung ziehen.

Ohne Zweifel ist ein Ölembargo die einzige effektive Maßnahme, Druck auf die Militärregierung auszuüben. Warum macht der Westen nicht mit? Daß die westlichen Länder nach den Embargos gegen Libyen, Iran und Irak auf das nigerianische Öl angewiesen sind, ist wie üblich eurozentristischer Egoismus. Die Angst, ein Ölboykott könne die Benzinpreise in die Höhe treiben, zeigt wieder einmal, wie die Industrieländer ihre wirtschaftliche und soziale Wohlfahrt auf Kosten der Entwicklungsländer um jeden Preis erhalten wollen.

Immer wieder taucht die Frage auf, ob uns die wirtschaftlichen Konsequenzen eines solchen Boykotts bewußt seien. Wer würde sie besser einschätzen können, als die Nigerianer selbst? Solange die Militärs in Nigeria noch regieren, wird es keine Verbesserung im Land geben. Viele leben in absoluter Armut. Bei diesen Menschen kommt sowieso nichts an, alles fließt auf die Privatkonten der Machthaber in Europa und Amerika. Die Situation kann kaum schlimmer werden.

Ein Ölembargo kann zur Folge haben, daß Shell mit seiner Umweltzerstörung und der skrupellosen Ausbeutung der Menschen im Nigerdelta aufhört; daß die Militärjunta sich um ihre dicken Auslandskonten Sorgen macht, und die Shoppingtrips nach New York eingeschränkt werden müssen; daß sie ihre Unterdrückungspolitik nicht mehr finanzieren kann.

Shells Ölförderung in Nigeria verstößt gegen internationale Standards. Sie achtet die Umwelt als Lebensraum nicht bei der Ölförderung. Ohne angemessene Entschädigung wird Land erworben, Ackerbauflächen und Flüsse werden verseucht und die Lebensgrundlagen der dort lebenden Menschen dadurch zerstört.

Shell beauftragt die Militärs, auf friedlich demonstrierende Ogoni mit scharfer Munition zu schießen, liefert die Militärregierung mit den benötigten Waffen dazu und bezahlt die Militärs dafür. Man tötet also die Gänse, die die goldenen Eier legen. Ken Saro-Wiwa und seine Mitstreiter wurden durch die Militärs ermordet, damit Shell die Ölförderung ohne Behinderung fortsetzen kann.

Der Schauprozeß damals war von langer Hand geplant. Es war wahrscheinlich die gefährlichste Entscheidung in 26 Jahren Militärdiktatur, Ken Saro-Wiwa zu verurteilen und hinzurichten. Auf diese große Konfrontation hatten sich die Militärs sorgfältig vorbereitet. Die Strategien: Massive Waffenimporte seit Januar letzten Jahres; engere Zusammenarbeit mit einigen islamischen Ländern für den Fall eines westlichen Waffenembargos. Um die gegen den Westen gerichtete Politik Abachas unmißverständlich deutlich zu machen, sollte das Militärtribunal kurz vor der Konferenz der Commonwealth Staaten Todesurteile gegen Ken Saro-Wiwa und seine Mitstreiter verhängen und diese noch während der Konferenz hingerichtet werden. Alles lief wie geplant.

Die Frage lautet: Wollen wir weiter einen Konzern unterstützen, der solche Geschäfte auf Kosten von Menschenleben macht? Wer Shell-Produkte kauft, unterstützt Umweltzerstörung und die Vernichtung des Ogoni-Volkes. Wer Shell-Produkte kauft, kauft das Blut der Ogoni. Peter Donatus