Wut hinter den Kulissen

■ Nach dem Weggang von Rolf Rempe: 440 MitarbeiterInnen im Theater haben die Faxen dicke

Hinter den Kulisen brennt die Luft. Nachdem Verwaltungsdirektor Rolf Rempe am Freitag das Handtuch warf, beginnt sich nun in allen Bereichen des Theaters neben Wut und Schrecken der Fluchtimpuls einzustellen. Ist dies ein sinkendes Schiff? Den Bremer Theaterdampfer verlassen nicht die Ratten, sondern Schauspieler, die Angebote von anderen Theatern haben und ihre Zukunft in Bremen nicht mehr gesichert sehen. Künstlerische Abwanderung droht. Verständlich, denn für die jungen Schauspieler, die mit Pierwoß nach Bremen gekommen sind, sind der Intendant und einigermaßen attraktive Arbeitsbedingungen die einzige Bindung an die Stadt. Die Randbedingungen werden am Bremer Theater immer schlechter. Krankheit und Unfälle häufen sich, in Umbesetzungsproben müssen die Schauspieler oft über Nacht für Kollegen einspringen. „Wir sind am Rande der Leistungsfähigkeit angelangt“, sagt Irene Kleinschmidt. Die junge Schauspielerin spielt neben der Titelrolle in „Minna von Barnhelm“ noch in vier weiteren Inszenierungen: „Lulu“, „Engel in Amerika“, „Sterne am Morgenhimmel“ und außerdem laufen die Proben zur „Dreigroschenoper“ unter Andrej Woron auch auf Hochtouren. Damit wäre die Frage von Bringfriede Kahrs, was die Schauspieler denn so am Vormittag machten, wohl beantwortet. In der letzten Woche habe sie zum Teil um 10 Uhr zu proben begonnen, und erst nach der Vorstellung nach Mitternacht das Haus verlassen, berichtet Irene Kleinschmidt. Der Lohn für die Plackerei? Wenn ein normaler Arbeitnehmer Überstunden macht, dann klagt zwar die Familie, aber er sieht die Früchte seiner Arbeit dann wenigsten auf dem Lohnzettel. Davon kann im Theater keine Rede sein. 2500 Mark brutto verdienen die jungen Schauspieler, nach Hause tragen sie dann 1700 Mark. Pierwoß, der wie jeder Intendant ein neues Ensemble mitbrachte, das auch nicht damit rechnen kann, von einem möglichen Nachfolger übernommen zu werden, drückt so dem Haus seinen Stempel auf. Doch er kaufte seine jungen Schauspieler „billig“, zum Mindest lohn ein. Solche Gagen, die aus Spitzwegs Zeiten zu stammen scheinen, halten beweglich: Von den 21 Ensemblemitgliedern tragen sich zur Zeit etwa sechs mit Abwanderungsgedanken. Renommierte Künstler wie Ursula Karruseit und Wolfgang Robert sind schon jetzt ausgeschieden. Doch auch in den Spielplan hat die Sparpolitik ihre Löcher gerissen: Für diese Saison sind schon zwei Produktionen abgesagt. „Die Schattenlinie“ von Tankred Dorst und „Die Präsidentinnen“ von Werner Schwab werden im Bremer Theater nicht das Licht der Welt erblicken: Der Malersaal streikte. Nach den bereits 880 Überstunden auf dem Konto aufgelaufen waren, fand man: Nun ist Schluß mit lustig und „es muß mal eine Abschlagszahlung her“. Doch das Theater fand nur leere Taschen. Der Konflikt zwischen Kunst und Geld fand seine bremische Lösung: 2x is nich, wg. fällt aus.

Doch auch in anderen Bereichen des Theaters macht sich heftiger Unmut breit, gerade die Einheimischen, die ihre Stadt kennen, machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube mehr. Menschen, deren Herzen sonst nur im Schlußakt in Wallung kommt, die schon manchen Innenminister den Bühnentod haben sterben sehen, fühlen sich jetzt im Innersten beleidigt. „Jetzt, wo endlich was entsteht,“ sagt die Maskenbildnerin Heike Götzmann. „Wo wir nach Monaten der Kraftanstrengung endlich Resultate unserer Arbeit sehen, da kommt jemand daher und macht das alles wieder kaputt. Das ist wie eine Strafe. Das Schlimmste ist ja nicht, daß die Senatorin keine Ahnung hat, das Schlimmste ist, daß sie uns nicht vertritt, nicht für unsere Interessen eintritt.“ Selbstredend wird im Theater trotzdem darüber getratscht, daß sich bei dem Rundgang, den die Senatorin vor ein paar Tagen durchs Haus gemacht hat, herausstellte, daß sie wahrlich nicht dem blassesten Schimmer von der Funktionsweise eines Theaters hat, immerhin der größte Arbeitgeber, der unter das Ressort der Kultursenatorin fällt. „Wenn ich das gewußt hätte“, so erzählen sich die Wände, sollen ihre Worte immer wieder gewesen sein.

Kollege Larry Adler, seit 34 Jahren als Tontechniker treu am Haus, hat die große Politik im Blick, doch auch da ist nichts Gutes zu berichten: „Jede Bremer Firma wird vom Senat unterstützt, wie jetzt der Vulkan, da sind alle auf den Beinen, nur uns läßt man allein.“ Wirklich ärgern tut den Techniker, der sich zugute hält, fast alle Lautsprecher, die jetzt im Theater hängen, mit eigenen Händen zusammengebastelt zu haben, die Folgen der willkürlichen Kulturpolitik. Immer wieder neue Senatoren, immer wieder neue Intendanten. „Und dann berufen sie so einen Blindfisch wie den Heyme, und wir müssen es ausbaden.“ Das sei ja, als wenn ein inkompetenter Politiker einen Betriebsdirektor berufe und sich dann aus dem Staube mache. Die mangelnde Kontinuität wird auch in anderen Bereichen des Hauses mit großen Kraftverschwendung assoziiert. Und befürchtet, daß jetzt, wo Rempe das Handtuch geworfen hat, auch Pierwoß gehen könnte. Das wäre das Aus. „Ich bin seit fünf Jahren hier, das ist jetzt mein dritter Intendant“, sagt die Maskenbildnerin Heike Götzmann. So was gibt's woanders gar nicht, wie soll man denn da vernünftig arbeiten können. Jeder Wechsel bedeutet einen enormen Reibungsverlust.“

Susanne Raubold