Ab und zu: hopp, hopp, hopp!

„Im Fernsehen war alles viel schöner“? Ganz falsch: Wie man zu Ruhpolding bei der Biathlon-WM den sanften Fluß des Geschehens genießt  ■ Aus Ruhpolding Albert Hefele

Böse Zungen behaupten, in Ruhpolding würden sich selbst Rentner langweilen. Das ist natürlich eine Verleumdung, denn die kleine Gemeinde verfügt über genügend Andenkenläden, Cafés, Hotels und ein Wellenbad. Außerdem wimmelt es von Wanderwegen und begehbaren Erhebungen für den Sommer, Pisten und Loipen für den Winter. Ruhpolding hat mehrere Sprungschanzen und ein richtiges Biathlonstadion. Nicht unbedingt von Bedeutung für die Rentner, aber für die Elite der Biathleten, die noch bis Sonntag ihre WM in den bayerischen Alpen durchführen.

Die Einheimischen freut's. Nicht nur, weil damit ein erhöhtes Gästeaufkommen verbunden ist, sondern weil man von jeher eine Vorliebe für den Skisport und das Waidhandwerk hegt. Und für Mannsbilder von der gestandenen Sorte, heißt es. Reichlich bebartet, von knorrigem Charme und immer die Diatonische zur Hand, wenn eine Geselligkeit ansteht. Etwas viel Klischee, zugegeben, aber ein wahrer Kern ist dran.

Fritz Fischer zum Beispiel ist so einer. War als Biathlet schon sehr erfolgreich, als man noch wesentlich weniger Gedöns um den winterlichen Zweikampf machte. Immer ein großer Kämpfer und nimmermüder Gaudibursch zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Im Ruhpoldinger Tal verehrt man ihn deswegen, und bei den großen Anlässen darf er niemals fehlen. Als Pressesprecher der WM läßt er es sich dann auch nicht nehmen, jeden Tag eine begeisterte Menge mit ein paar launigen Worten zu begrüßen.

So geschah es auch am Sonntag vor dem 20-km-Rennen. Daß ihm die neue Generation der Biathleten, die am Start lauernden Frank Lucks und Ricco Groß, zugehört haben, darf bezweifelt werden. Es ist keine Zeit für Späße. Mitte der Neunziger sind die Top-Athleten längst schon wieder aus einem anderen Holz. Oder darf man sagen: Kunststoff? Glatt und durchgestylt bis in die Haarspitzen. Hochkonzentriert und hochtrainiert. High- Tech-Chamäleone in verwirrend buntflirrenden Rennhäuten.

Nichts ist geblieben von dem, was Freizeitlangläufer treiben: gemächliches Schlurfen durch die schweigende Winterlandschaft mit sanften Abfahrten und torkelnden Aufstiegen. Lange vorbei. Moderne Biathleten schnurren wie aufgezogen durch die Loipe, hetzen bergauf und preschen bergab, daß einem schon beim Zuschauen angst und bange wird. Sprint über 20 Kilometer. Mit vier Unterbrechungen am Schießstand. Zweimal liegend, zweimal stehend auf ein fünfzig Meter entferntes Fünf- Mark-Stück.

Der Sieger Sergej Tarassow leistete sich dabei keinen Fehlschuß. Gut: Das Schießen entscheidet. Kein Wunder, daß die Besten allesamt bei Armee und Grenzschutz dienen. Biathleten sind deswegen keine waffengeilen Scharfschützen. Es ist eben praktisch, und auch die führenden Damen verstehen es, die idealen Trainingsbedingungen, die der Dienst am Vaterland bietet, zu nutzen. Ohne tägliches, ausgiebiges Üben hat man natürlich nicht mehr die geringste Chance.

Biathlon ist eine ungemein anspruchsvolle Sportart, was Kraft, Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit angeht. Viel zu komplex für Amateure. Wer möchte denen schon zuschauen, wie sie sich gemächlich über den Kurs schieben, um dann danebenzuschießen? Niemand, das Fernsehen schon gar nicht. Und dem verdankt der Biathlon-Sport in erster Linie seine ständig wachsende Popularität. Spätestens seit den olympischen Tagen von Lillehammer drängeln die ZuschauerInnen zu den Wettkämpfen.

Und wundern sich, daß es zwar einiges zu sehen gibt, aber man nicht sehr viel damit anfangen kann. Zumindest was die Einzelwettbewerbe angeht: Die sind ein ziemliches Durcheinander von startenden, schießenden und ins Ziel gelangenden Läufern. Wie sprach die dickvermummte Dame aus München, ratlos ihr Fähnchen wieder einrollend: „Da blickt doch kein Schwein durch.“ Um überhaupt den Überblick zu behalten, ist man der Anzeigetafel auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Oder kann sich jemand die Schieß- und Laufleistungen von fast 90 Startern merken?

Der Stadionsprecher sagt's, wenn es spannend wird. Das trübt das Gemeinschaftserlebnis, und nicht nur die Dame aus München wandte sich mürrisch ihrem Glühwein zu. „Im Fernsehen war alles viel schöner.“ Die Fans aus Skandinavien und Rußland waren sicht- und hörbar anderer Meinung. Entspannte, fahnenbestückte Grüppchen, die ihre Aufmerksamkeit souverän auf die Natur, das sportliche Angebot und die sonstige Umgebung verteilten. Die Souveränität der Erfolgreichen? Oder weil sie das Wesen nordischer Disziplinen anders erfahren haben und wissen, daß es nichts zu versäumen gibt. Weil ihnen klar ist: Das Biathlon des Fernsehens ist wie der zehnminütige Zusammenschnitt eines Fußballspieles. Hübsch anzusehen, aber dem Charakter des Spiels in keiner Weise gerecht werdend (nachzuprüfen heute, 10.25 Uhr, live im ZDF; da sind die 4x10- und 4x7,5-km-Staffel zu sehen).

Es geht nämlich gerade nicht um das spektakuläre Highlight, sondern darum, den sonoren Fluß des Geschehens genießen zu können. Die sanfte Faszination des bloßen Dabeiseins. Warten können, plaudern, ein wärmendes Schlückchen. Ab und zu: „hopp, hopp, hopp!“ und „heja!“ Aber: nur keine Aufregung. Fanatismus schon gar nicht. Schießen hin oder her. Biathlongucken ist doch bloß eine Möglichkeit, sich zusammen einen netten Tag an der frischen Luft zu machen... ist doch bloß Sport.