Doppelter Wahlkampf in Nahost

■ Christopher pendelt zwischen Jerusalem und Damaskus und zwischen US-amerikanischen und israelischen Wahlinteressen

Tel Aviv (taz) – Schwierige Aufgabe für den US-Außenminister im Nahen Osten: Angesichts der Absicht der israelischen Arbeitspartei, die Parlamentswahlen in das Frühjahr vorzuverlegen, muß sich Warren Christopher anstrengen, damit die israelisch-syrischen Verhandlungen nicht zum Stillstand kommen. Die nächsten Knessetwahlen stehen eigentlich erst am 29. Oktober an. Doch angesichts seiner derzeitigen Popularität erwägt Regierungschef Schimon Peres eine Vorverlegung in den Mai oder Juni – ungeachtet der Verhandlungen mit Syrien. Um diese zu einem Ergebnis zu bringen, pendelt Christopher seit gestern zum 17. Mal zwischen Jerusalem und arabischen Hauptstädten.

Vor Christophers gestrigem Besuch in Jerusalem hieß es aus dem Umfeld der Arbeitspartei, Peres beabsichtige, die Vorverlegung der Wahlen in der kommenden Woche bekanntzugeben. Dann ist noch eine Absprache mit Oppositionsparteien erforderlich, um den notwendigen Knesset-Beschluß zur Festlegung des neuen Termins zu sichern. Als wahrscheinlicher Wahltag gilt derzeit der 21. Mai.

Ausschlaggebend für die Vorverlegung ist der Popularitätsschub der Arbeitspartei nach dem Mord an Peres' Vorgänger Jitzhak Rabin im letzten November. Seither haben sich die Wahlaussichten der rechten Opposition und ihres führenden Kandidaten Benjamin Netanjahu (Likud) radikal verschlechtert. Die wöchentlichen Meinungsumfragen zeigen Peres eindeutig als Favoriten der Nation. Jüngsten Umfragen zufolge wünschen 46 Prozent der Israelis, daß er Ministerpräsident bleibt, nur 30 Prozent wollen Netanjahu als Regierungschef. Vor dem Mord waren Netanjahus Chancen beständig gestiegen. Das Pendel könnte jedoch wieder in die andere Richtung ausschlagen, wenn beispielsweise erneut eine größere Anzahl Israelis einem Anschlag zum Opfer fallen würde.

Israels rechtes Lager rückt enger zusammen

Angesichts ihrer derzeitigen Schwäche in der Wählergunst vereinbarten am Sonntag der nationalkonservative Likud-Block und die ebenfalls rechtsgerichtete Tsomet-Partei ihren Zusammenschluß. Die Fusion soll noch in dieser Wochen vollzogen werden.

Gegenwärtig scheint Peres mit seiner Politik gegenüber den Palästinensern und Syrern die Mehrheit der Israelis auf seiner Seite zu haben. Nach dem für Israel günstigen Ausgang der Wahlen zum palästinensischen Autonomierat beginnen in zwei Monaten die entscheidenden Endphaseverhandlungen. Dann müssen sich Israelis und Palästinenser über so brisante Fragen einigen wie die Zukunft Jerusalems, der jüdischen Siedlungen, der palästinensischen Flüchtlinge in anderen Staaten, über die Grenzen und den politischen Status der besetzten oder autonomen palästinensischen Gebiete. Vorgezogene Parlamentswahlen in Israel würden weitere Verzögerungen des ohnehin an Verspätungen leidenden „Fahrplans“ des Friedensprozesses bedeuten. Andererseits wäre schon der Auftakt zu Verhandlungen über Jerusalem oder die Siedlungsfrage eine Belastung für den Wahlkampf der israelischen Regierungspartei mit Peres an der Spitze.

Der Regierungschef und seine Berater sind in den letzten Wochen auch zu der Überzeugung gekommen, daß es zu riskant wäre, innerhalb der kommenden neun Monate (also vor dem ursprünglichen Wahltermin im Oktober) auf irgendwelche für Israel eindeutig positive Resultate in den Verhandlungen mit Syrien zu bauen.

Der US-Außenminister und sein Chef, US-Präsident Bill Clinton, sind von Peres' Entscheidung keineswegs begeistert. Sie hatten mit einer von ihnen mit fester Hand geführten Verhandlungsperiode gerechnet, die noch vor den Wahlen in den USA im November zu Resultaten führen sollte. Die US-Regierung befürchtet nun, daß eine Vorverlegung der Knesset- Wahlen dem Verhandlungsprozeß schaden wird. Fraglos wird sie nun alles daransetzen – und es sich etwas kosten lassen –, ihre politischen Interessen im Nahen Osten und im eigenen Wahlkampf weiter zu fördern. Darin liegt jetzt die nicht einfache Aufgabe des US- amerikanischen Außenministers. Amos Wollin