„Das Denkmal muß auf die Täter verweisen“

■ Der Kasseler Künstler Horst Hoheisel zum Streit um das Holocaust-Mahnmal. Er hatte der Jury ein Negativdenkmal vorgeschlagen: Die Schleifung des Brandenburger Tores

taz: Die Diskussion um das zentrale Holocaust-Mahnmal ist völlig verfahren. Jüngster Vorschlag: Die beiden preisgekrönten Entwürfe von Christine Jackob-Marks und Simon Ungers sollen zusammengeschmissen werden. Weil die Eingravierung der Namen von 4,2 Millionen ermordeter Juden in Jackob-Marks' Grabplatte auf massive Kritik gestoßen ist, sollten dort statt dessen die Namen der Vernichtungslager eingraviert werden. Welchen Ausweg sehen Sie?

Horst Hoheisel: Man muß ganz neu nachdenken. Das Denkmal selber entsteht ja schon, tagtäglich entsteht es in dem Maße, in dem der Potsdamer Platz drumherum zugebaut wird. Man sollte den dafür vorgesehenen Platz unbebaut lassen und einen permanenten Wettbewerb zu seiner Gestaltung installieren.

Als materielle Realisierung der These des US-Denkmalforschers James Young, der Diskussionsprozeß über ein Denkmal sei wichtiger als das Denkmal selbst?

Das ist eine gemeinsame These von James Young und Jochen Spielmann aus Berlin, die ich voll unterstütze. Wenn Denkmäler, vor allem monumentale, erst gebaut sind, ist die Erinnerung begraben.

Wie aber könnte man die Gefahr bannen, daß ein solcher permanenter Wettbewerb nicht als bloßes Spielchen begriffen wird?

Das Ganze sollte kein förmlicher Wettbewerb sein, sondern ein Diskussionsprozeß in einer dort zu errichtenden Tagungsstätte, wo immer wieder neu über die Geschichte und ihren inneren Zusammenhang nachgedacht wird, denn dort stand auch die Reichskanzlei und die Mauer.

In vielen Entwürfen mit ihrem erstarrten Betroffenheitskitsch hat sich in meinen Augen nicht ein Denkmal für die Ermordeten materialisiert, sondern ein Denkmal unserer Unfähigkeit, mit der Vergangenheit umzugehen. Jackob- Marks' Grabplatte wirkt ungewollt so, als solle damit die Vergangenheit begraben werden.

Das denke ich auch. Viele Entwürfe entsprechen einer Denkmalsauffassung des vorherigen Jahrhunderts. Außerdem passen sie besser in Länder, die Opfer des Naziterrors wurden. Aber mitten in der Hauptstadt der früheren Täter kann man kein Denkmal errichten, das an Yad Vashem erinnert. Das Mahnmal im Land der Täter muß vollkommen anders aussehen, es muß die Täterschaft reflektieren. Sonst schiebt sich Deutschland mit diesem Denkmal unbemerkt zwischen die Opferländer des Naziterrors, und plötzlich sind auch die Täter unter diesem Denkmal verschwunden, und alle sind Opfer der „Gewaltherrschaft“, die wie eine Naturkatastrophe über uns hereingebrochen ist.

War das der Hintergrund für Ihren provokanten Wettbewerbsvorschlag, das Brandenburger Tor abzutragen?

Ja. Die Steine sollten zermahlen werden, und so wie die Asche der Ermordeten zerstreut wurde, sollte das Steinmehl auf dem Denkmalsgelände ausgestreut und mit Platten überdeckt werden. Damit wären wir gezwungen, die Leere beider Orte auszuhalten. Haben Sie ernsthaft damit gerechnet, daß Sie damit im Wettbewerb eine Chance haben?

Nein. Aber es gäbe andere Realisierungschancen. Götz Aly hat in der taz mal vorgeschlagen, eine Säule des Brandenburger Tores abzureißen und es mit einer Inschrift zum Mahnmal zu erklären. Künstlerisch gesehen wäre das wenig überzeugend. Aber man könnte auf diese Säulen die Namen der Konzentrationslager gravieren. Dann könnte man es nicht länger als Symbol ungebrochener nationaler Tradition benutzen. Wahrscheinlich hat auch das keine Chance. Ich will damit aber anregen, viel mehr über die Täterseite nachzudenken.

Mit Ihrer Denk-Stein-Sammlung haben Sie schon früher versucht, den Entstehungsprozeß eines Denkmals radikal zu demokratisieren. Im Kasseler Hauptbahnhof, wo einst die Deportationszüge starteten, steht nun ein Gepäckkarren mit 1.007 Steinen, die jeweils die Namen eines ermordeten Menschen tragen. Die Schüler, die die Steine zusammentrugen, versuchten gleichzeitig, etwas über diesen Menschen herauszufinden. Der Künstler ist damit nur noch Katalysator, die eigentlichen Akteure sind wir alle. Wäre dieser Prozeß der Denk-Stein-Sammlung eine Alternative für den Potsdamer Platz?

Der Gedenk-Stein-Prozeß ist übrigens noch weitergegangen: im Bayrischen Viertel in Berlin, in München und auch in Cloppenburg und Waren. Für kleine Gruppen bietet sich dieses dezentrale Denkmal als Prozeß an. Dessen Teilnehmer erfahren etwas über den Naziterror in ihrem Ort. Sie stiften ihren Stein für einen Menschen, der drei Häuser weiter gewohnt hat. Früher habe ich dieses Denkmal auch für das Berliner Gestapo-Gelände vorgeschlagen: Dort sollte ein riesiger Kegel von sechs Millionen Steinen entstehen. Heute aber halte ich diese Idee für ungeeignet für ein zentrales Mahnmal, weil das die Auseinandersetzung mit der Täterschaft erschwert. Interview: Ute Scheub