■ Normalzeit
: Ideen und Tricks verraten!

Die französischen Intellektuellen, vor allem die gutbezahlten journalistischen Opinion-Leader waren sich einig: Die Zukunft werde, nicht zuletzt durch ihr stetig vernünftelndes Wirken, einer prosperierenden „Republik der Mitte“ gehören. Aber dann kam der Streik – und zwang sie, wieder auf die überwundenen alten Klassenbegriffe zurückzugreifen: Auf seiten der Macht und des Geldes entdeckten sie damit den „Mut“ und den starken „Realitätssinn“, auf der anderen Seite, beim Volk und auf der Straße, herrschten dagegen „Phantasmen“, gar „Irrationalität“.

Die deutschen Medien bemühten sich durchgängig, das Elend der vom unvernünftigen Streik in ihrem normalen Erwerbsleben aufs grauenhafteste Betroffenen zu schildern: Kinder, die drei statt eine Stunde morgens zur Schule brauchten, Frauen, die mit Trampschildern im Regen an der Straße standen, ja sogar Obdachlose, denen der Streik der Metroarbeiter ihren letzten U-Bahn- Schacht geraubt hatte. Die vom Streik geradezu enthusiasmierte „Le Monde diplomatique“ sprach hernach ganz undiplomatisch von einem „Verrat der Intellektuellen“ – ein französischer Lieblingstopos seit den zwanziger Jahren. Hier wird er dagegen meist nur im Zusammenhang mit der Stasi und ihren Millionen IMs verwendet.

Auf einer Podiumsdiskussion verstieg sich der Direktor des Deutschen Historischen Museums, Stölzl, sogar zu der unglaublichen Geschichtsklitterung: „Theodor W. Adorno, ein in der Studentenbewegung viel gelesener Philosoph hat einmal gesagt ,Es gibt kein richtiges Leben im falschen Deutschland‘!“ Stölzl meinte damit: Der ganze DDR- Sozialismus basierte auf Verrat – an den Prinzipien von Demokratie und freier Marktwirtschaft nämlich.

Das Zitat stammt nicht von Adorno, sondern war seiner „Minima Moralia“ vorangestellt – wo es hieß „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“: damit sollte allen (individuellen) Lebensverbesserungen eine Absage erteilt werden, die nicht auf die Revolutionierung der kapitalistischen Verhältnisse zielten.

Das Besser-Leben-Stadtmagazin zitty, eingekeilt zwischen immer neueren Programmzeitschriften, hat plötzlich ebenfalls auf die Studentenbewegung zurückgegriffen: auf die alte Konsumkritik. Die Redakteure rezensierten nicht etwa die 1.000 ganz illegalen Tricks der Nulleinkommens-Klassen, sondern den preiswerten Erlebniseinkauf auf ökologischer Grundlage: mit einem für 70 Mark ersteigerten Fahrrad geht es zum Beispiel zum „Fleisch“-Kauf in den Moabiter „Großmarkt“, zum „Fisch“-Kauf an die „Anlegestelle“ bei Erkner und zum „Geflügel“-Kauf in den „Wiesenhof“, Prenzlauer Berg. „Tips und Tricks für Sparsame“: Die zitty-Auflagenentwicklung verlangt so etwas, aber man hatte sich eigentlich gerade ganz anders gepolt: Futon auf Fichte statt Schaumgummi auf dem Fußboden, Verkabelung, Anrufbeantworter, Jeans aus Hanf und Video aus erster Hand, Leihwagen statt Mitfahrgelegenheit, Lufthansa statt Aeroflot usw. Also woher nehmen, wenn nicht stehlen – die „Tips&Tricks“? Zwar wird bereits vorsichtig – nach Rücksprache mit dem Justitiar – dem Diebstahl das Wort geredet, aber dann traute man sich nicht einmal, sich an geistigem Eigentum zu vergreifen, geschweige denn, eine Aufforderung zur strafbaren Handlung abzudrucken, die es dem Leser erlaubt hätte, ein wenn auch nur winziges Stück soziale Gerechtigkeit, wenigstens Genugtuung wiederherzustellen. Helmut Höge

wird fortgesetzt