„Jetzt regiert ein Patriot“

■ Seit dem Putsch vom Januar wachsen in Sierra Leone die Friedenshoffnungen. Die Wahlen werden wohl verschoben

Als der neue Staatschef von Sierra Leone, Brigadegeneral Julius Maada Bio, vor einer Woche seinen Antrittsbesuch in Elfenbeinküste absolvierte, empfingen ihn sierraleonische Exilanten auf dem Flughafen von Abidjan mit Transparenten, auf denen sie die Verschiebung der für den 26. Februar geplanten Wahlen forderten. Vor einer Wahl müsse erst Friede in Sierra Leone einkehren, hieß es. Präsident Bio schüttelte den Demonstranten freundlich die Hand. Und nach seiner Weiterreise aus Elfenbeinküste nach Burkina Faso äußerte sich der neue Staatschef skeptisch über die Wahlen: Die Militärjunta in Sierra Leone sei nicht gegen Wahlen, sagte Bio nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur – aber „jeder Versuch, Demokratie auf wackligem Boden zu bauen, wird mehr Probleme schaffen“.

Maada Bio ist erst drei Wochen im Amt, aber sein Putsch am 16. Januar hat die politische Zukunft Sierra Leones wieder völlig unsicher gemacht. Unter Bios Vorgänger Valentine Strasser war Sierra Leone in einem immer konfuseren Bürgerkrieg versunken, der Zehntausende Tote gefordert und die Hälfte der vier Millionen Einwohner aus ihrer Heimat vertrieben hat. Strasser, der seine Machtergreifung 1992 mit dem Unmut der „Frontschweine“ in der Armee über die Unfähigkeit der zivilen Politiker begründet hatte, stellte vergangenes Jahr schließlich Parlaments- und Präsidentschaftswahlen für den 26. Februar in Aussicht. Obwohl allen Beobachtern klar war, daß angesichts des Krieges solche Wahlen bestenfalls in der Hauptstadt Freetown stattfinden könnten – wo inzwischen zwei Millionen Menschen leben –, ließ Strassers Junta ein Wahlgesetz ausarbeiten und bildete eine Wahlkommission unter Führung des international geachteten Diplomaten James Jonah. Die Ex-Kolonialmacht Großbritannien versprach für die Wahlen umgerechnet sieben Millionen Mark. In Freetown rief der Staat die Bürger auf, sich in Wahllisten einzutragen. Und am 9. Januar bildeten 14 der 15 Parteien des Landes ein Wahlbündnis.

Dann stürzte Strasser durch den Putsch seines Stellvertreters Bio. Dessen Begründung, Strasser habe sich selbst zum Präsidenten wählen lassen wollen, erscheint fadenscheinig: Strasser selbst hatte ein Mindestalter von 40 Jahren für Präsidentschaftskandidaten festgelegt – und er ist erst 29.

So regte sich schnell der Verdacht, nicht Strasser, sondern Bio wolle eigentlich gar keine Wahlen. Die Freetowner Zeitung Expo Times berichtete, Bio habe in Abstimmung mit Nigerias Präsident Sani Abacha gehandelt – Nigeria hat ebenso wie Guinea Soldaten zur Verstärkung der Armee in Sierra Leone stationiert. Am Putschtag hätten nigerianische Soldaten den Eingang zum Staatsrundfunk und zur Telefongesellschaft gesichert, schrieb die Zeitung. Abacha wolle mit dem Putsch Strasser bestrafen, weil dieser die Commonwealth-Sanktionen gegen Nigeria gut heiße.

Wie auch immer – Bio erscheint als perfekte Verkörperung einer politischen Richtung, die Wahlen und die damit verbundene Machtübergabe an Zivilisten ablehnt und eine Machtteilung zwischen der Armee und den Rebellen der „Revolutionären Einheitsfront“ (RUF) vorzieht. Bios Schwester ist mit dem Sprecher der RUF verheiratet. Gleich nach dem Putsch erschienen an der von den Rebellen gehaltenen Straße von Freetown in die östliche Stadt Bo Parolen wie „Der Krieg ist vorbei – jetzt regiert ein Patriot“. Am 24. Januar, acht Tage nach dem Putsch, verkündete die RUF eine vorläufige Waffenruhe – die Militärregierung folgte mit dem selben Schritt einen Tag später. Inzwischen ist die Straße von Freetown nach Bo zum erstenmal seit Jahren wieder offen.

Für die Menschen ist das viel wichtiger als eine Wahl. Schon spekulieren sierraleonische Medien, Bio könne statt der Präsidentschaftswahl ein Referendum abhalten. Die Bevölkerung werde dann massiv für eine Verschiebung der Wahlen stimmen, um den prekären Frieden nicht zu belasten.

Das würde die UNO, die USA und Großbritannien blamieren, die sich alle auf möglichst frühe Wahlen in Sierra Leone festgelegt haben. Wahlleiter James Jonah hat sich bereits ein Schlupfloch zurechtgelegt: Sollten die fehlenden drei Millionen Dollar in seinem auf 9,8 Millionen angesetzten Budget nicht bis zum 15. Februar eingetroffen sein, erklärte er, werde er keine Wahlen organisieren. „Ich werde nicht Vorsitzender eines Wahlgangs sein, von dem ich weiß, daß er schiefgeht.“ Dominic Johnson