Ein politisches Requiem

■ 500 Gäste bei Trauerfeier für die Lübecker Brandopfer. Särge überführt

Lübeck (taz) – Die Mutter von Rabia El Omari muß sich an keinem Heer von Fotografen und TV- Teams vorbeikämpfen, ehe sie den Lübecker Dom erreichen kann. Schon eine Stunde vor der Trauerfeier geht sie in die Kirche. Dort sind auf einer Bank die Lichtbilder der zehn Toten aufgestellt, die am 18. Januar bei dem Brand im Asylbewerberheim in der Neuen Hafenstraße ums Leben kamen. Ihr Sohn war darunter.

Am Tag zuvor hatte sie sich noch geweigert, an der Trauerfeier teilzunehmen. Erst als ihr versichert wurde, daß es kein rein christlicher Gottesdienst werden würde, hat sie doch eingewilligt. Schluchzend bricht sie vor der Fotografie des 17jährigen zusammen. Ihr Mann will sie erst trösten und verhüllt dann selbst mit den Händen sein Gesicht, um seine Tränen zu verbergen.

Knapp ein Monat ist der Brand jetzt her, der in der Bundesrepublik die Diskussion um eine menschliche Ausländerpolitik wieder neu entfacht hat. Gestern war die Trauerfeier, heute sollen die Särge mit den sterblichen Überresten der Toten in jene Länder zurückgebracht werden, aus denen sie einst flüchteten. Der Wunsch des Diakonischen Werkes, daß die Angehörigen der Opfer ihre Toten begleiten dürfen, ohne fürchten zu müssen, nicht wieder in die Bundesrepublik einreisen zu können, ging bislang nur ansatzweise in Erfüllung.

Die Mutter des gebürtigen Libanesen bekommt von den Behörden ihres Heimatlandes keinen Paß ausgestellt – was gleichzeitig ja auch der Grund ist, weshalb sie nach dem geltenden Asylrecht überhaupt noch in Lübeck bleiben darf. Sie und ihre Familie sind hier nur geduldet. Ohne Paß jedoch, argumentieren die bundesdeutschen Behörden, könne niemand wieder nach Deutschland zurück. Iwer Rinsche vom Diakonischen Werk und seine Mitarbeiter haben in den vergangenen Tagen „einen Schnellkurs in den Finessen des Ausländerrechts“ absolviert: „Es muß wohl so sein mit den Vorschriften, aber es ist schon ein Banausentum, daß alle in Deutschland sich hinter ihren Stempeln und Akten verstecken.“

Vater Makudila, der seine Frau und seine fünf Kinder bei dem Brand verlor, sitzt stumm da. Die Frage des freien Geleits ist bei ihm ebensowenig geklärt wie bei den andern. Er will seine Angehörigen nach Zaire begleiten und in Kinshasa darauf pochen, wieder nach Lübeck zurück fahren zu dürfen. Um 13 Uhr hat sich der Dom, das schönste und wichtigste Stück im architektonischen Juwelenkasten des Lübecker Bürgertums, mit etwa 500 Menschen gefüllt. Viele Plätze bleiben leer. Immerhin: Die Lübecker Nomenklatura ist anwesend, parteiübergreifend; aus der Landeshauptstadt ist die Landtagspräsidentin Ute Erdsieck- Rave wie auch Justizminister Klaus Klingner gekommen.

Viele weinen, als die Orgel zu spielen beginnt. Bischof Karl-Ludwig Kohlwage sagt: „Dieser Gottesdienst ist ein einziges Gott-erbarme-Dich.“ Einige Trauergäste fühlen sich sichtlich überfordert durch die vielen Fotografen. Manche verstecken ihre Köpfe in ihren Mänteln. Sie werden nicht in Ruhe gelassen. Die Fotografen, sagt Matthias Erz, Leiter des Lübecker Presse- und Informationsamtes, benehmen sich „wie die Kinder“: Sie können nicht von den Gesichtern lassen, sie knipsen und knipsen.

Und übertönen damit streckenweise selbst das Keyboard, das einen Chor begleitet, der sich vor Tagen erst aus Bewohnern der Asylbewerberheime gegründet hat. Am Instrument selbst hilft ein Theologiestudent aus. „Jesu ajali awa“, singt die Gospelgruppe St. Christopherus. Bei diesem sehr fröhlichen Trauergesang wird noch mehr geweint, gerade bei den schwarzen Gottesdienstbesuchern.

Bürgermeister Michael Bouteiller erklärt in seiner kurzen, manchmal stockenden Rede, es sei kaum nachzuempfinden, was es bedeutet, Tag für Tag von Abschiebung bedroht zu sein. Er schließt am Ende mit der sehr christlichen Wendung: „Es gibt in der Mythologie viele Beispiele dafür, wie sich Bäume neigen, um Brücken zu bauen, und sich Felsen erweichen lassen. Die Möglichkeit des Menschen ist es, sein Herz zu öffnen.“ Die hinter ihm sitzenden CDU-Politiker, Senatorin Dagmar Pohl- Laukampf und Landtagsmitglied Torsten Geißler, verfolgen die Rede mit versteinerten Mienen.

Die polizeilichen Ermittlungen darüber, wer nun den Brand gelegt hat, sind noch keinen Schritt weitergekommen. Der Libanese Safwan E. sitzt weiterhin in Untersuchungshaft; die Staatsanwaltchaft hält ihn nach wie vor für den Hauptverdächtigen. Jan Feddersen