: Der nette Onkel Jo
■ Führungsoffizier versucht Stasi-IM und Exanwalt Schnur zu entlasten
Berlin (taz) – Sie waren ein Herz und eine Seele, der Kirchenjurist und sein Führungsoffizier von der Stasi. So jedenfalls sieht es der ehemalige Stasi-Offizier Joachim Wiegand. Besucht er den früheren Anwalt Wolfgang Schnur, so nennen ihn dessen Kinder heute noch „Onkel Jo“. Und der 63jährige zögert auch nicht, die „kameradschaftliche Zusammenarbeit“ mit Schnur und dessen „operative Geschicklichkeit“ zu preisen. Als Zeuge bemühte sich Wiegand gestern vor dem Berliner Landgericht, die Machenschaften des MfS als reine Vorbeugemaßnahmen zum Wohle aller darzustellen.
Seit Ende der 70er Jahre „betreute“ Wiegand, der auch den „IM Sekretär“ alias Manfred Stolpe unter seiner Fittiche hatte, den Kirchenanwalt Schnur. Unter den Decknamen „Torsten“ und „Dr. Ralf Schirmer“ lieferte Schnur seinem Führungsoffizier Auskünfte über Bürgerrechtler und Kirchenvertreter, darunter Bärbel Bohley, Joachim Gauck, Rainer Eppelmann, Freya Klier und Stephan Krawczyk. Parallel zu seiner Spitzeltätigkeit vertrat Schnur 1988 die Regisseurin Klier und ihren damaligen Mann Krawczyk als Anwalt und sorgte dafür, daß beide nach ihrer Verhaftung gegen ihren Willen aus der DDR ausreisten. Wegen der Denunziation eigener Mandanten, mit der er diese der politischen Verfolgung aussetzte, muß sich Schnur nun vor Gericht verantworten.
„Unsere Beziehungen in Kirchenkreisen reichten vom Meßdiener bis zum Bischof“, erläutert Wiegand nonchalant, um anschließend auszuführen, welche Aufgaben er dem „IM Torsten“ zugedacht hatte. Schnur blättert derweil stur in seinen Unterlagen, macht sich ab und an eine Notiz und scheut jeglichen Blickkontakt mit seinem ehemaligen Führungsoffizier. Vorbeugend sollte er wirken, der Anwalt der Bürgerrechtler und Wehrdienstverweigerer. Es galt etwa, schon im Vorfeld „politische Störungen“ von Kirchentagen zu vermeiden. Auch vor der Luxemburg-Liebknecht-Demo, in deren Verlauf Stephan Krawczyk im Januar 1988 verhaftet wurde, gab es Anzeichen für geplante Störungen. Wenig später wurde auch Freya Klier inhaftiert.
Im MfS, so Wiegand, habe es zwei Linien gegeben: Die einen hätten darauf gesetzt, alle Unruhestifter in den Knast zu schicken, die anderen – und dazu zählt Wiegand sich selbst – hätten Verurteilungen in Kirchenkreisen verhindern wollen und seien bemüht gewesen, allen wieder aus der Haft zu verhelfen, notfalls auch mit einer Ausreise in die BRD. Schnurs Aufgabe bestand darin, Klier und Krawczyk solange zu beeinflussen, bis sie sich nicht mehr wehrten, auszureisen. Immerhin ging es um das internationale Ansehen der DDR, das keine Skandale verkraften konnte. Und um seinen Worten den rechten Nachdruck zu verleihen, bekennt der Stasi-Mann freimütig: „Ich bin einer, der sagt, solange du reden kannst, brauchst du nicht zu schießen.“
Der Prozeß wird am 13. Februar fortgesetzt. Karin Flothmann
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