■ Die Antimatsch-Tomate aus dem Labor erobert Großbritannien. Ertsmals liegt in Europa ein gentechnisch manipuliertes Nahrungsmittel in den Supermärkten. Das eingeschleuste Gen läßt selbst blasse Holland-Tomaten - vor Scham? - erröten.
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Die Antimatsch-Tomate aus dem Labor erobert Großbritannien. Ertsmals liegt in Europa ein gentechnisch manipuliertes Nahrungsmittel in den Supermärkten. Das eingeschleuste Gen läßt selbst blasse Holland-Tomaten – vor Scham? – erröten.

Aus der Retorte frisch auf den Tisch

Die schöne neue Welt der Gentechnologie ist um ein Produkt reicher. Flavr Savr, die nicht faulende „Antimatsch-Tomate“, die in den USA bereits seit fast zwei Jahren in einigen Supermärkten zu finden ist, hat jetzt auch in Europa eine erste Zulassungshürde überwunden. Als Tomatenpüree darf es seit vorgestern in britischen Geschäften feilgeboten werden. Der britische Konzern Zeneca hat von den Londoner Behörden die Erlaubnis bekommen, aus Flavr Savr hergestellte Produkte zu vermarkten.

Vorerst wird es erst einmal bei dem Gentech-Püree bleiben, folgen wird dann später der Gentech- Ketchup. Als ganze Frucht darf Flavr Savr jedoch auch in Großbritannien noch nicht angeboten werden. Daß dürfen die britischen Behörden nicht allein entscheiden, denn für lebende, vermehrungsfähige Gentech-Organismen – und dazu wird die Tomate gezählt – muß eine Genehmigung der EU vorliegen.

Das Püree ist nicht das erste Gentech-Produkt, das in Großbritannien eine Zulassung erhalten hat. Vor wenigen Wochen erst gaben die Behörden grünes Licht für gentechnisch veränderte Hefe zum Bierbrauen. Die Verwendung einer genmanipulierten Backhefe ist dort ebenfalls schon seit längerem erlaubt, und auch Rapsöl, hergestellt aus Gentech-Pflanzen, darf auf der Insel zur Zubereitung von Salaten benutzt werden.

Während die Bundesregierung seit Jahren immer wieder auf die geplante Brüsseler Novel-food- Verordnung verweist, die einen Teil der Gentech-Nahrung europaweit gesetzlich regeln soll, haben die Briten im Alleingang eigene nationale Vorschriften erlassen. Ebenso wie in den Niederlanden müssen dort alle neuartigen Nahrungsmittel ein Zulassungverfahren durchlaufen. Einmalig in der EU ist in den beiden Ländern auch, daß Gentech-Nahrungsmittel für die VerbraucherInnen als solche kenntlich sein müssen.

Im Gegensatz dazu gibt es in Deutschland keine Regelungen für Gentech-Food. Wenn der britische Konzern Zeneca sein Gentech-Püree auch auf dem deutschen Markt anbieten wollte, müßte er dafür keine Genehmigung einholen, er müßte noch nicht einmal die Behörden darüber informieren. Es gibt zwar seit fünf Jahren ein Gesetz zur Regelung der Gentechnologie, aber: „Das Tomatenpüree fällt nicht unter das deutsche Gentechnikgesetz“, so Ingrid Nöh vom Bundesumweltamt (UBA) in Berlin.

In Analogie zu den europäischen „Richtlinien für die Freisetzung und das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen“ werden vom bundesdeutschen Gentechnikgesetz nur lebende vermehrungsfähige Gentech-Organismen erfaßt. Die Tomate Flavr Savr müßte genehmigt werden, aber die zu Brei oder Ketchup verarbeitete Frucht kann sich nicht mehr fortpflanzen. Sie fällt deshalb durch die breitmaschigen Netze des Gesetzes.

„Die Dummen sind die VerbraucherInnen. Sie bleiben im Ungewissen darüber, was ihnen im Supermarkt wirklich serviert wird“, moniert Karin Rennenberg vom Berliner Gen-ethischen Netzwerk (GeN), das sich grundsätzlich gegen Gentech-Nahrung ausspricht. Weder das Bundesgesundheitsministerium, noch die behördlichen Verbraucherschützer wissen derzeit, welche Gentech-Nahrungsmittel schon im Handel sind. Nur die Hersteller könnten darüber Auskunft geben – wenn sie nur wollten.

Doch bei Nachfragen wird meist ausgewichen. Während die Zulieferer für die Nahrungsmittelindustrie mittlerweile offen zugeben, welche Nahrungsmittelenzyme in ihren Bioreaktoren gentechnisch hergestellt werden, stößt man bei den verarbeitenden Betrieben auf eine undurchdringliche Schweigemauer. Wie der Teufel das Weihwasser fürchten sie, mit Gentechnologie in Verbindung gebracht zu werden – schließlich stehen ihre Namen, im Gegensatz zu denen der Zulieferer, auf den Produkten in den Regalen der Supermärkte. Wolfgang Löhr