Rohe Eier und das Leben

■ Rußland braucht eine Menschenrechtskommission

Es steht uns Deutschen schlecht an, über andere Völker zu richten – gerade dann, wenn es sich um die Russen handelt. Ernst Moritz Arndt konnte es noch ohne Scham tun, als er 1809 anläßlich der russischen Greueltaten in Finnland schrieb: „O Russen! Russen! Fürchtet ihr denn kein Urteil der Welt und Nachwelt?“ Sie haben es nicht gefürchtet, und die Geschichte gab ihnen Recht.

Für Menschenrechtsverletzungen wurde Rußland nie zur Rechenschaft gezogen. Daher verwundert es auch nicht, wenn die Menschenrechtskommission des Landes zu einem Resümee gelangt, das Rußland ein schlechtes Zeugnis ausstellt. Verletzungen der Bürgerrechte gehören zur Norm, die Kriegswirren des letzten Jahres haben diese Tendenz nur noch verschärft. Militarisierung war und bleibt vorläufig ein Wesenszug des russischen Staates.

Um so mehr Anlaß zur Verwunderung liefert die Entscheidung der prominenten Mitglieder der Kommission, ihre Mitarbeit aufzukündigen. Hier herrscht eine Logik vor, die sich nicht nachvollziehen läßt. Braucht ein Staat, der im großen und ganzen die Rechte seiner Bürger schützt und in dem die Instanzen des Rechtssystems aufeinander eingespielt sind, eine Menschenrechtskommission? Selbst er braucht sie, weil Recht sich nicht mit Gerechtigkeit deckt. Rußland hat so eine Kommission um so mehr nötig. Ihr obliegt es nicht nur, die Mißstände aufzudecken und anzuprangern, ihre vornehmliche Aufgabe besteht darin, dem einfachen Menschen, dem es womöglich gegeben war, vom Knecht zum Großknecht aufzusteigen, so etwas zu vermitteln wie ein elementares Rechtsverständnis, ihm vorzuleben, daß es etwas gibt wie eine allgemeinverbindliche Moral, die sich nicht gegen ihn wendet, wenn er sie zu seiner Maxime macht.

Wo man mit menschlichem Leben sorgloser verfährt als mit rohen Eiern, wo man Behinderte an Bettgestelle fesselt, Waisen wie Kriminelle vor der Gesellschaft wegschließt, da ist es noch sehr weit bis zur Achtung der Menschenrechte. Kein Geld noch Institutionen können diese Grausamkeit besiegen. Es wäre ein Irrglaube zu meinen, die Mißstände seien eine Folge des gesellschaftlichen Umbruchs, und die Macht sei ihr alleiniger Urheber. Nein, es ist eine weit verbreitete Haltung, die nur langsam schwindet. Die Kommission hätte zu diesem Verschwinden beitragen können. Glaubt sie womöglich durch ihr Abtreten, die Macht zu strafen, ihrem internationalen Renommee zu schaden? Naiv wäre das. Klaus-Helge Donath, Moskau