Sandinista!

Ken Loach dreht in Nicaragua „Carla's Song“, eine Hommage an die Kämpfer gegen Somoza-Diktatur und Konterrevolution  ■ Aus Duacale Grande Pascal Mrigeau

Auf immer rot-schwarz.“ Die Aufschrift eines Grabes, das am Rand der Panamericana aufgeworfen ist, zeugt von der immerwährenden Gegenwart der sandinistischen Sache. Die Gegend im Norden von Esteli, zwei Autostunden von Managua entfernt, war einer der Revolutionsschauplätze von 1978/79. Es gibt noch viele Spuren der Vergangenheit – auf den Häusermauern wie in den Köpfen. Deswegen siedelt Ken Loach hier die Handlung von „Carla's Song“ an, des Films, den er gerade dreht.

Ein lehmiger Weg führt nach Duacale Grande. Die Dorfbewohner haben mit Staunen verfolgt, wie die britischen Techniker die Häuser bauten, die sie nachher in die Luft sprengen wollen. Dafür wird die Brücke, die das Filmteam als Ersatz für die alte konstruierte, die einem Hochwasser zum Opfer fiel, auch in Zukunft den Zugang zum Dorf sichern. Im Sommer 1995 wurde es von einer Cholera- Epidemie heimgesucht. Heute spazieren die Schweine friedlich umher, und die Erde zittert manchmal ein wenig vom Galopp der wilden Pferde. Ganz Duacale Grande hat sich in sicherer Entfernung vom Marktplatz versammelt, die Augen weit offen und die Finger in den Ohren, um sich gegen den Donner der Detonationen zu schützen.

Sie fühlen sich, so berichten sie wieder und wieder, um neun Jahre zurückversetzt, in die Zeit des Contra-Angriffs. Die US-amerikanische Armee lieferte dieser Guerilla die Waffen und die Strategie. Ken Loach interessierte sich, wie man sich seit „Hidden Agenda“ denken kann, in erster Linie für diesen Aspekt, als er Paul Lavertys Drehbuch las. Laverty war als junger schottischer Anwalt nach Nicaragua gegangen.

Die Handlung spielt 1987 und zeigt einen Busfahrer aus Glasgow (Robert Carlyle, den Loach 1991 für „Riff-Raff“ entdeckte), der die junge Carla (Oyanka Cabezas, eine Tänzerin aus Managua) kennenlernt. Carlas Verhalten ist merkwürdig, ein traumatisches Erlebnis aus ihrem Leben in Nicaragua hat seine Spuren selbst auf ihrer Haut hinterlassen. George läßt seine Braut im Stich und begleitet Carla in ihr Land, um für sie den Mann wiederzufinden, den sie einst liebte.

Laverty brauchte für sein Drehbuch fünf Jahre. Drei Jahre brauchte Loach, um das Projekt mit der Schauspielerin Sally Hibbin umzusetzen. Der Regisseur kam 1994 das erste Mal nach Nicaragua, kurz bevor er „Ladybird“ drehte. Danach stellte er „Land and Freedom“, einen Spielfilm über den spanischen Bürgerkrieg, fertig, bei dem schon viele Techniker beteiligt waren, die jetzt bei „Carla's Song“ dabei sind. Im Team sind vierzehn Nationalitäten vertreten. Die Dreharbeiten begannen im November in Glasgow und wurden dann in Nicaragua fortgesetzt, weil Loach die Gewohnheit hat, die Einstellungen in chronologischer Reihenfolge aufzunehmen.

Trotz täglich neuer Schwierigkeiten, die mit der mangelnden Infrastruktur und den unzureichenden Kommunikationsmitteln zusammenhängen (Telefone sind selten), scheint der Regisseur gelassen. Jede Aufnahme wird in Rekordzeit vorbereitet, obwohl Kameramann Barry Ackroyd praktisch ohne künstliches Licht arbeitet. Die Einstellungen sind lang, manchmal sehr lang, aber Loach verlangt selten mehr als zwei Aufnahmen. Authentisch und spontan soll's sein.

Die Schauspieler. Alles wird getan, damit sie sich wohlfühlen. Keine Scheinwerfer, kurze Drehzeiten, eine umsichtige Haltung bei allen, deren Anwesenheit unerläßlich ist. Von den anderen ist gar nicht die Rede. „Wenn man mit Ken arbeitet“, amüsiert sich die Maskenbildnerin, „muß man erst mal lernen, sich zu drücken.“ Wenn also Stille angesagt ist, verkriechen sich alle hinter einer Mauer, verschwinden im Schatten eines Hauses oder ziehen sich weit hinter die Kamera zurück, in der Hoffnung, daß der Regisseur sich nicht umdreht. Niemand wird behaupten, daß er Ken Loach wirklich hat drehen sehen oder daß er ihn etwa überhaupt gehört hat. Er richtet sich mit gedämpfter Stimme an die Schauspieler, fast in einem vertraulichen Ton.

Aus den USA kam Scott Glenn, um den ehemaligen CIA-Mann Bradly zu verkörpern, der sich, entsetzt über die Verbrechen, die er begehen ließ, den Sandinisten anschließt. So wie er mit den Dorfbewohnern einen Schwatz hält, improvisiert Scott Glenn ein paar Antworten auf Spanisch an die „Sandinisten“, welche die Leichen der Contras untersuchen, die beim Angriff auf das Dorf getötet wurden. Einer von ihnen traktiert mit Fußtritten ziemlich brutal die Beine eines toten Gegners. Loach hatte diese Geste nicht vorhergesehen, die Kamera hat sie festgehalten. Er dreht sich um: „Es ist schrecklich, aber ich denke, so sind die Dinge wirklich gewesen.“ Das können immer noch viele bezeugen.

Um die Nebenrollen zu besetzen, wandten sich Loach und sein Team, wie sie es immer tun, an die Gemeindeverwaltungen der umliegenden Dörfer. Rosa Amalia Lopez wurde so Carlas Mutter. Ungezählte Male hat sie die gleichen Szenen selbst erlebt, die sie nun vor der Kamera spielen soll. Für sie ist es ein merkwürdiges Gefühl, wieder mitten in die Tragödie einzutauchen, die sie jetzt beschwört, wenn sie auf der Solidarität besteht, die das einfache Volk früher einte. Vor der Revolution diente ihr Haus in Esteli den Sandinisten als Versammlungsort.

Dann ist sie in die Armee eingetreten, um im Norden zu kämpfen. „Der Geist ist noch lebendig“, versichert sie mit einem etwas traurigen Lächeln. „Dieser Film soll zeigen, was in Nicaragua geschehen ist und den Menschen den Sinn für Solidarität wiederfinden lassen. Er sollte unbedingt vor der Präsidentenwahl im Oktober gezeigt werden, aber nichts deutet darauf hin, daß die Regierung eine Vorführung erlaubt.“ Die zuständigen Behörden haben ihre Zustimmung zum Drehen gegeben, ohne daß sie das Drehbuch lesen wollten, während „Land and Freedom“ in den Rahmen eines feierlichen Bekenntnisses zur europäischen Kultur gestellt worden war.

Rosita Savala, die im Film die Rolle einer Krankenschwester spielt, war 1974 fünfzehn Jahre alt, als sie aus einer katholischen Organisation zur sandinistischen Bewegung übertrat. Nach dem „Triumph“ wurde sie eine Art Verbindungsagentin, die damit betraut war, Nachrichten zu übermitteln und Leute in feindliche Gruppen einzuschleusen. Dreimal wurde sie wieder an die Spitze ihres Gemeindekomitees gewählt und übt weiterhin, wie sie belustigt sagt, ihre „Diktatur“ aus. Nun bereitet sie mit die Wahlen vor: „Die Arbeitslosenquote liegt bei 70 Prozent, die Großgrundbesitzer, die außer Landes geflohen waren, sind dabei, zu Schleuderpreisen ihr einst konfisziertes Land zurückzukaufen, weil die Leute nichts mehr haben und sich nicht dagegen sperren können zu verkaufen. Oder sie bekommen glattweg die Erstattung ihrer Güter durch, weil die Richter bestechlich sind. Es gibt kein Gesundheitssystem mehr, wir haben keine Medikamente mehr. Die sandinistische Bewegung ist die einzige Hoffnung dieses Landes.“ Die ihr leise zugehört haben, sind herangerückt und stimmen zu; sie bestätigen sowohl ihre Müdigkeit wie ihre Hoffnung. Die eifernde Rosita lacht spöttisch auf: „Ihr wollt unsere Bewegung beschrieben haben? Sehr einfach: Wir sind die, die ganz am Boden sind.“

Frauen wie Rosita und Rosa Amalia habe er viele getroffen, sagt Ken Loach, in Nicaragua, in Irland, in Spanien: „Sie bilden das Herz der revolutionären Bewegungen und verleihen ihnen unwahrscheinliche Energie und Zuversicht.“ „Carla's Song“, der im Herbst 1996 in Frankreich anläuft, wird ein kämpferischer Film sein – ein rot-schwarzer Film.

Übersetzung aus dem

Französischen: Carsten Feldmann)

qLe Monde