Santa Evita aus Michigan

Man muß es fühlen: Wie Madonna unter Regisseur Alan Parker zur argentinischen Ikone wird  ■ Von Bernd Pickert

Wenn sie nichts gegessen hat, nicht geraucht hat, keinen Sex gehabt hat – was hat diese Frau denn überhaupt gemacht?“ Madonna blickt hilflos in die Runde alter peronistischer Zeitzeugen, die ihr Auskunft über das Leben der Eva Perón geben sollen. Mit charmantem Lächeln beschwichtigt die 37jährige ihre indignierten Gesprächspartner. Sie muß so fragen. Schließlich haben in diesen Tagen die Dreharbeiten für „Evita“ begonnen, den neuen Film von Alan Parker („Mississippi Burning“, „Commitments“). Madonna muß noch einiges herausfinden, um den Vorstellungen der ArgentinierInnen von ihrer Evita gerecht werden zu können.

Der Plot des Films orientiert sich fast originalgetreu am gleichnamigen Musical von Tim Rice und Andrew Lloyd Webber mit dem Song „Don't cry for me, Argentina“. Er erzählt die Geschichte der Eva Perón: von der Entscheidung der 15jährigen, aus der Provinz in die argentinische Hauptstadt überzusiedeln bis zu ihrem gigantischen Begräbnis 1952. Eva Duarte, Jahrgang 1919, hatte 1943 in Buenos Aires den General Juan Domingo Perón kennengelernt, sich fortan den politischen Ambitionen des Generals gewidmet und wurde zur First Lady Argentiniens, als Perón 1946 die Präsidentschaft übernahm. 1952 starb Eva Perón an einem Krebsleiden. Sie war ein Idol geworden.

Der Kunstgriff von Tim Rice, die ganze Evita-Geschichte aus dem Munde des damals spätpubertierenden argentinischen Jurastudenten Ernesto Che Guevara erzählen zu lassen (im Film gespielt von Antonio Banderas), der sich mit der Regierung des Generals Juan Domingo Perón überwirft und sich über Evita zunehmend lustig macht, nicht zuletzt dieser Einfall, zwei nationale Identifikationsfiguren gegeneinander auszuspielen, hat die argentinische Öffentlichkeit gegen das Musical aufgebracht.

In Argentinien hat Eva Perón, Kosename Evita, inzwischen den Status einer Heiligen. Der Schriftsteller Tomás Eloy Martinez hat mit dem Titel seines neuen Romans, „Santa Evita“, lediglich zusammengefaßt, was rechts wie links innerhalb des breitgefächerten Spektrums peronistischen Denkens – und vor allem Fühlens – längst Standard ist. Evita wird vergöttert. Sie, die an der Seite ihres Mannes Juan Domingo Perón in dessen nationalpopulistischem Projekt eines paternalistischen Staates der sozialen Gerechtigkeit aufging, mit ihrer karitativen „Eva-Perón-Stiftung“ zum Idol für die Armen wurde, ist heute, wie gesagt, eine Ikone. Was auf Kuba das „So sein wie Che!“, das ist in Argentinien die Hommage an Santa Evita. Und praktisch jede Debatte, die ein Nichtargentinier in Buenos Aires über die ehemalige First Lady zu führen versucht, endet jäh mit der lapidaren Feststellung, der Gast könne das halt nicht verstehen, das müsse man schon fühlen.

Kein Wunder also, daß sich im letzten Wahlkampf alle auf Evita beriefen: Der wiederkandidierende Präsident Carlos Menem von der peronistischen Partei ließ die üblichen Stirnbänder mit der Aufschrift „Unsterblicher Perón, unsterbliche Evita!“ verteilen, und sein Konkurrent José Octavio Bordón von der rechts-links-gemischten Dissidenten-Koalition Frepaso passierte noch auf seinem letzten Autokorso durch Buenos Aires jede auch nur erdenkliche Straßenecke, an der Evitas gedacht werden konnte.

Während allerdings für die zur machtgeilen Wahlsicherungs- und Postenverteilungsmaschinerie verkommene menemistische Führungsspitze die Erinnerung an Evita nurmehr ein Mittel zum Zweck ist, um die berühmte „peronistische Loyalität“ einfordern zu können, so berufen sich auch die Volksbewegungen auf Evita – jene also, die unter den wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen der Regierung Menem am meisten gelitten haben. In den Häusern derer, die gerade im Armenviertel am Busbahnhof Retiro dagegen kämpfen, im Auftrag des peronistischen Bürgermeisters zugunsten eines Autobahnbaus von der Polizei vertrieben zu werden, hängt auch manches Evita-Porträt. Evita für alle.

Alan Parker hat mit Bedacht gerade Madonna für die Rolle erwählt. Sie ist durch ihren sexuellen Freistil, den sie jedenfalls mindestens bis Anfang der neunziger Jahre pflegte, der Idealkontrast schlechthin zur heiligen Evita, der treu und brav ihrem Mann und seiner Sache ergebenen Verkörperung karitativer Keuschheit.

„Wer ein bißchen was über Evitas Geschichte weiß“, dozierte Madonna auf dem America-Airlines- Flug von New York nach Buenos Aires gegenüber Argentiniens Klatschpostille Caras, „wird zwei gegensätzliche Reaktionen auf Evita feststellen können: Liebe oder Haß. Ich liebe so etwas. Es gibt viele Leute, die Eva Perón für eine Heilige halten, aber es gibt andere, die halten sie für die Inkarnation des Teufels. Und genau das ist es, warum ich mich mit Evita identifizieren kann.“

Davon aber wollen die meisten ArgentinierInnen nichts wissen. „Wenn es wirkliche Würde gäbe, dann gäbe es keinen Sex“, heißt es in Alan Parkers Film „Birdy“. Und die ArgentinierInnen halten Evita für den Inbegriff der Würde – mag sie vor Perón über noch so viele Männerstationen die soziale Leiter heraufgeklettert sein. Die Negation ihrer selbst, ihre Erleuchtung durch die Ehe mit Perón, wie sie Evita in ihrer 1951 erschienenen autobiographischen Selbstinszenierung „Der Grund, warum ich lebe“ („La razón de mi vida“) heraufbeschwört, ihre schon zu Lebzeiten geschaffene Legende der zum Guten bekehrten wohltätigen, jungen, schönen, asexuellen Übermutter der Armen der Nation läßt keinen Platz für andere Erinnerungen – schon gar nicht für Hollywood-Interpretationen.

Aber natürlich ist der Skandal geplant, natürlich weiß Parker, daß die an den Straßenrändern zwischen Flughafen und Madonnas Domizil im Hyatt-Hotel großflächig gepinselten Parolen „Madonna raus! Evita lebt!“ seinem Filmprojekt nur guttun. Präsident Menem selbst hatte sich an die Spitze der Anti-Madonna- Bewegung gestellt, als er in einem Interview sagte: „Ich finde es nicht gut, daß Madonna die Evita spielt. Ich glaube nicht, daß das argentinische Volk das zulassen wird, denn Evita ist eine sehr geliebte und respektierte Persönlichkeit.“ So ist zu vermuten, daß auch diejenigen, die inzwischen fast alle argentinischen Mitwirkenden am Parker-Film mit Morddrohungen

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einzuschüchtern versuchen, sich lediglich als Erfüllungsgehilfen präsidentiellen Willens sehen.

Dabei wäre ein Küßchen-Foto mit Madonna eigentlich genau das, was dem publicitysüchtigen Menem fehlen würde. Claudia Schiffer, die Rolling Stones und Lady Di hat er schon im Album, kurz vor den letzten Wahlen gesellte sich endlich auch Diego Maradonna dazu – aber mit Madonna darf er nicht. Weil sie Evita spielt.

Fast alle Buchläden und die vielen tausend Straßenkioske in Buenos Aires haben den „Erotica“- Bildband mit Madonnas Aktfotos wieder ganz nach vorne sortiert. Madonna als fleischgewordene Antithese, das „Material Girl“ spielt die Heilige – und versteht zu überraschen. Schon am zweiten Tag ihres Aufenthaltes in Buenos Aires verließ sie die eigens als Gymnastikraum umgebaute Mozart-Suite des Hyatt-Hotels und rauschte samt der Kolonne ihr folgender Journalisten, Leibwächter und Fans in das Haus des Historikers Enrique Oliva, um sich dort mit elf alten Menschen zu treffen, Peronisten und Nichtperonisten, die direkten Kontakt zu Evita hatten. Evitas Hausfotograf Angel Farias, heute 76jährig, zeigte sich beeindruckt: „Als die Tür aufging, trat eine schlichte, elegante Madonna ein, von einer Blässe, die mit ihren roten Lippen kontrastierte, einfach und liebenswert. Dann kam sie auf mich zu, um mir die Hand zu geben, und ich konnte es nicht glauben: Madonna ist eine perfekte Evita!“

Tatsächlich arbeitet Madonna bei jedem öffentlichen Auftritt weiter an ihrer Verwandlung. Schon bei der Vorstellung des Filmprojektes in London zeigte sie sich mit dem eng anliegenden Scheitelschnitt der Evita. Und die wenigen Einblicke, die Madonna in ihre fünfzehn Koffer Kleidervorrat gewährt hat, zeigten den strengen, hochverschlossenen Look der Evita von den Plakatwänden. Fotograf Farias dachte, „die Pop-Göttin aus den Videoclips zu treffen, deren Image so gar nichts mit dem Evitas zu tun hat. Aber welch eine Überraschung!“

In ihren ersten Interviews nach ein paar Tagen Einarbeitungszeit hat sich Madonna zwar immer mehr bemüht, der auf jede Silbe versessenen argentinischen Presse ihren Respekt vor Evita und vor der Erinnerung des argentinischen Volkes in die Stenoblöcke zu diktieren. Aber sie tut sich schwer. Von den elf Alten bei jenem sagenumwobenen Treffen will Madonna alles wissen – und fragt dabei immer an allem vorbei, was man in Argentinien über Evita fragen kann. War sie wirklich in Perón verliebt, oder war das nur ein gutes Team, um Politik zu machen? „Evita hatte fast kein Privatleben, weil sie dafür lebte, für die Allerärmsten zu arbeiten“, wird ihr barsch und bestimmt beschieden. Ein pathetischer Versuch der Zeitzeugen, eigenes Unvermögen zu kaschieren: Keiner von ihnen kann sich erinnern, ob Evita etwa rauchte oder nicht, ob sie Kaffee oder Tee trank, und erst recht nicht, ob sie Schokolade mochte.

Aber auch daraus, interpretierte die anwesende Schriftstellerin Maria Elena Walsh die Fragestrategie der Lernenden, dürfte Madonna ihre Schlüsse gezogen haben. Sie weiß jetzt zumindest, wie sie Evita nicht spielen darf, will sie nicht riskieren, von den argentinischen Behörden doch noch zur Persona non grata erklärt zu werden, wie es einige peronistische Abgeordnete gefordert hatten. Sie darf sie nicht lebendig spielen. Eine Heilige lebt nicht, sie leidet höchstens unter der Bürde.