Ein männerfreier Fluchtort

In Flüchtlingsheimen ist die Abhängigkeit der Frauen von den Männern groß. Doch in Berlin und Dessau finden Frauen Zuflucht – ohne die Männer  ■ Von Elke Eckert

Fatimas (Name geändert) Freund ist spurlos verschwunden. Seit über einem Jahr hat sie ihn nicht gesehen. Eigentlich sollte er vor zwei Monaten über die Türkei aus dem Iran kommen. Sie weiß nur, daß er an der türkischen Grenze nicht durchgelassen wurde. Der Anruf von dort war sein letztes Lebenszeichen. Fatima selbst hat zehn Jahre im Untergrund gearbeitet. Immer wieder wurde sie gefaßt und im Gefängnis von der Geheimpolizei verhört. Um sie zum Sprechen zu bringen, wurde sie auch vergewaltigt. Doch darüber spricht sie heute so gut wie nie.

Fatima wohnt in Berlins einzigem Asylbewerberinnenheim für Frauen. Die 25 Frauen und 16 Kinder kommen aus aller Herren Länder: aus Bosnien, Syrien, Sri Lanka, Kenia, Rumänien und Angola.

In der kleinen, ein wenig heruntergekommenen Villa des Deutschen Roten Kreuzes versucht die Heimleiterin Ludmila Hanisch den Frauen und ihren Kindern – bis zum sechzehnten Lebensjahr dürfen Söhne auch mit dort wohnen – ein vorübergehendes Zuhause zu bieten. Kathleen Hurwitz, die einzige Sozialarbeiterin im Haus, betreut die Frauen in Einzelgesprächen.

Hurwitz, die vorher in gemischten Heimen arbeitete, beobachtet nun, daß die Frauen ohne männliche Einflußnahme „wesentlich selbständiger“ werden und viel mehr Verantwortung für sich selbst und die Kinder übernehmen. Heimleiterin Hanisch stellt unter den Frauen „eine hohe Solidarität“ fest. Sie führen sogar untereinander Gespräche über die erlebten Demütigungen. Das ist nur möglich, weil sie mit der neu entdeckten Unabhängigkeit „auch den Willen entwickelt haben, Deutsch zu lernen“.

Sozialarbeiterin Hurwitz hat jedoch nur begrenzte Möglichkeiten, den Frauen zu helfen. Bei Traumatisierung müssen psychologische Beratungsstellen oder das Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer in Anspruch genommen werden.

Doch selbst in ihrer männerlosen Zufluchtsstätte sind die Frauen nicht immer sicher. Maria (Name geändert), eine 35jährige Angolanerin, flüchtete mit ihrem Mann vor sechseinhalb Jahren vor dem Bürgerkrieg in ihrem Land nach Deutschland. Das Ehepaar kam zunächst gemeinsam in einem Asylbewerberheim unter. Seit zwei Jahren ist Maria mit ihrem inzwischen fünfjährigen Sohn im Heim für Frauen. Sie hat sich von ihrem Ehemann scheiden lassen, weil er sie geschlagen und mißhandelt hatte. Der jedoch fand die geheime Adresse des Heimes heraus und drohte mit Kindesentführung und Mord. Damit nicht genug: Laut deutscher Rechtsprechung fällt für die Angolanerin mit der Scheidung auch ihr Asylgrund weg. Schließlich war nur ihr Ehemann politisch aktiv.

In Sachsen-Anhalt fordern Frauengruppen und Flüchtlingsinitiativen schon länger ein Heim für Frauen. Nach dem Antritt der rot- grünen Regierung 1994 bekam der Vorschlag Unterstützung aus der Leitstelle für Frauenpolitik, dem Innenministerium und dem Ausländerbeauftragten beim Sozialministerium.

In Dessau wird nun ein Gästehaus umgebaut, das Mitte Februar als „Frauen-Gemeinschaftsunterkunft“ eröffnet werden soll. Im Gegensatz zu dem Berliner Heim sollen dort jedoch keine Frauen aufgenommen werden, die in anderen Heimen mit ihren Ehemännern wohnten und sich von ihnen trennen wollen. Innenminster Manfred Püchel (SPD) kündigte an, das Haus stehe 26 Frauen und Kindern zur Verfügung, die sich alleine auf die Flucht gemacht haben. Von ihnen sei bekannt, daß sie oft „bereits im Herkunftsland oder auf dem Fluchtweg sexuellen Gewalttaten ausgesetzt waren“.

Mit dem Asylbewerberinnenheim entwickelt Sachsen-Anhalt eine auch in anderen Bundesländern bestehende Praxis weiter: Es gibt bereits separate Frauentrakte und getrennte Wohnbereiche in Heimen. Sie wurden eingerichtet, da es immer wieder zu sexuellen Belästigungen und Übergriffen in den meist überfüllten Heimen kam. So auch in der Zentralen Anlaufstelle für AsylbewerberInnen (ZASt) in Halberstadt. Dort werden jeden Monat 400 bis 600 AsylbewerberInnen aufgenommen, darunter sind 30 bis 35 alleinstehende Frauen.

Jede Bewohnerin des Frauentrakts besitzt einen Schlüssel für ihr Zimmer, für das gemeinsame Bad und für die Gittertür des Traktes. Wie jedoch der ZASt-Leiter Rolf Harder bedauert, „halten sich leider nicht alle daran“. Die zuständige Sozialarbeiterin gebe den Frauen zwar „Verhaltensempfehlungen“, doch nicht alle richteten sich danach. Aber es braucht nur eine Frau die Tür offenlassen oder einem Mann ihren Schlüssel geben, damit die anderen sich vor Belästigungen nicht mehr sicher fühlen können.

Der Sinn einer separaten Unterbringung für Frauen in Dessau war in der rot-grünen Regierung umstritten. Zwei Jahre hat die Diskussion gedauert. Der Ausländerbeauftragte der Landesregierung, Wolfgang Kupke sagt dazu: Er und andere männliche Kollegen seien der Meinung gewesen, daß auch die traumatisierten Frauen „besser bei den anderen Familien aufgehoben“ seien. Nun habe er sich, wie er so schön formuliert, „auf die Seite der Frauen geschlagen“. Er beuge sich den Erkenntnissen seiner Kolleginnen, da sie ja die „besseren Fachleute sind“.

Da die Frauen-Lösung nicht mehr Geld als eine gemeinsame Unterbringung kostet, sei auch nichts weiter dagegen einzuwenden. Wenn sie sich nicht bewähre, so Kupke, könne aus dem ehemaligen Gästehaus auch ein „gemischtes“ Asylbewerberheim gemacht werden. Genug Bedarf sei vorhanden, da „die Rückführung von Vietnamesen und Bosniern nun erst mal nicht erfolgt“. Eine Frau, weiß der Ausländerbeauftragte, wartet schon auf ihre Verlegung nach Dessau: Sie sei „ungewöhnlich hübsch“ und die „vielen sexuell ausgehungerten Männer sind wie die Bienen“.