Nachbar, das Bildchen ...

Reiner hat ein anklickbares Bildchen (auf neudeutsch: Icon) für meine Homepage entworfen. Da ich es sofort sehen will, schickt er es als Anhängsel (Attachment) einer E-Mail über das Internet. Der für die Verteilung elektronischer Post zuständige Rechner (Mailserver) steht auf der anderen Seite des Atlantik. Aber das ist purer Zufall und – technisch gesehen – ziemlich egal. Trotz verstopfter Datenleitungen habe ich das Bildchen nach ein paar Minuten auf dem Monitor.

Das einzig Bemerkenswerte an diesem fast schon alltäglichen Vorgang: Reiner wohnt nur ein Haus weiter. Statt das Bildchen zweimal über den Teich zu jagen, hätte es mein Nachbar aus der Nummer 27 auf eine Diskette kopieren und vorbeibringen können. Ganz sicher hätte er auch einen Espresso gekriegt, so wie ich es immer mache, wenn nette Leute vorbeikommen. Und ganz sicher hätten wir ein oder zwei Stündchen zusammengesessen und uns erzählt, welche Macken wieder bei Windows aufgetaucht sind und was der Supermarkt gerade im Angebot hat.

Statt dessen sitzen wir vor unseren Kisten und teilen uns solche Dinge nur per E-Mail mit. Bei großen Entfernungen ist das auch wunderbar. Aber bei aller Begeisterung für die Technik: Niemand

hat bisher ernsthaft behauptet, daß sie alle Möglichkeiten der menschlichen Kommunikation ausschöpfen kann. Es kommt auf die Kleinigkeiten an, auf den erstaunten Blick, das nachdenkliche Grübeln, das laute Lachen. Worte sind nur ein Teil davon, der ganze Rest läßt sich per E-Mail einfach nicht transportieren. Und die hohe Kunst des Briefeschreibens haben die meisten von uns im Zeitalter von Telefon, Fax und E-Mail einfach verlernt.

Was auf neudeutsch „Emoticons“ heißt und in privaten E-Mails wie auch in Newsgroups benutzt wird, ist nicht mehr als ein kläglicher Versuch, Gefühlsregungen in Zeichen zu fassen. Kläglich vor allem deshalb, weil diese Zeichen vom Schreiber bewußt eingesetzt werden müssen und damit spontane Reaktionen ausschließen. Kläglich aber auch, weil man sich von den 86 Emoticons, die es angeblich gibt, ohnehin nur drei merken kann:

:-) Schreiber lacht

;-) Schreiber drückt ein Auge zu

:-( Schreiber ist sauer

Vielleicht sollte man einfach hin und wieder den Rechner einfach ausschalten und mit den Reiners dieser Welt um die Häuser ziehen. Am Tresen der Kiezkneipe findet bei einem Bier oder zweien eines ganz sicher statt: Von den Zwängen der Technik befreite, naturbelassene, zwischenmenschliche Kommunikation.