BKA sucht unbekannten Bekannten

Der Generalbundesanwalt ermittelt wegen eines Sprengstoffanschlages gegen den ehemaligen V-Mann Steinmetz, doch er scheitert am Verfassungsschutz, der seine Topquelle tarnt  ■ Von Wolfgang Gast

Der Gefängnisneubau im hessischen Weiterstadt macht derzeit Schlagzeilen: als „Luxusknast“. Holzvertäfelte Besucherräume und mit Buchenholz furnierte „Blockzargentüren“ rügte Anfang der Woche der hessische Landesrechnungshof. Besonders stieß sich die Behörde an den Innenhöfen, denn die würden mit „künstlerisch gestalteten Naturensembles“ geschmückt – dekoriert mit Natursteinquader aus „Taubertaler Muschelkalk“, Kosten allein dafür: 470.000 Mark.

An die 400 Millionen Mark wird der Bau verschlungen haben, wenn er 1997 als Untersuchungshaftanstalt in Dienst gestellt wird. Gut ein Drittel der immensen Summe geht auf das Konto eines „Kommandos Katharina Hammerschmidt“ der Roten Armee Fraktion, das am 27. März 1993 den Neubau mit rund 200 Kilogramm gewerblichen Sprengstoff in Luft jagte. Und es wird weniger die angeblich luxuriöse Ausstattung sein, die den Namen Weiterstadt in den Schlagzeilen hält, sondern vielmehr der Verdacht, daß ein V-Mann des rheinlandpfälzischen Verfassungsschutzes an dem Anschlag beteiligt war. Und die Tatsache, daß der Mann nicht zu fassen ist – wegen einer neuen Identität, die ihm sein Amt verpaßte.

Steinmetz – der Topmann des Verfassungsschutzes

Der Mann trug den Namen Klaus Steinmetz, er war über Jahre in der linksradikalen Szene zwischen Wiesbaden und Frankfurt am Main zu Hause. Mit Steinmetz gelang es den Behörden erstmals, einen ihrer Mitarbeiter an die sogenannte Kommandoebene der RAF heranzuspielen. Der Computerexperte, Jahrgang 1960, war es auch, der Ende Juni 1993 die Ermittler nach Bad Kleinen zu einem Treff mit den RAF-Mitgliedern Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams führte. Beim Zugriff der Grenzschutzsondereinheit GSG 9 konnte Hogefeld verhaftet werden. Der GSG-9-Beamte Newrzella und Grams wurden erschossen. Der V-Mann des rheinland- pfälzischen Verfassungsschutzes wurde beim mißglückten Festnahmeversuch entarnt. Damit tauchte dann die Frage auf, wieweit Steinmetz tatsächlich in die Strukturen der RAF eingebunden und ob er über den bevorstehenden Sprengstoffanschlag in Weiterstadt unterrichtet war. Sollte Steinmetz eingeweiht gewesen sein, so die prekäre Fragestellung, was wußte dann der Verfassungsschutz?

Anfangs ermittelte die Karlsruher Bundesanwaltschaft gegen den V-Mann. Sie verdächtigte ihn, sein Wissen über den Anschlag verschwiegen zu haben. Steinmetz selbst äußerte sich in seinen Vernehmungen widersprüchlich. Zuerst will er vorab über einen ihm zugestellten Kassiber gefragt worden sein, was er von einer solchen Aktion halte. Wenig, habe er geantwortet, gab er zu Protokoll. Später widerrief er, gab an, die „Kassibergeschichte“ erfunden zu haben. Er habe den Vernehmungsbeamten „klarmachen wollen, welches großes Vertrauen ich in der Szene genossen habe“. Im Frühjahr 1994 wurde das Ermittlungsverfahren gegen Steinmetz eingestellt.

Mit den Aussagen des Informanten durchforstete anschließend die Bundesanwaltschaft den Bekanntenkreis von Steinmetz. Ins Visier der Ermittler geriet dabei besonders ein Frankfurter Wohnprojekt, in das Andrea W., eine frühere Freundin von Steinmetz, eingezogen war. Eine Hausdurchsuchung folgte der anderen. Die Mitarbeiter des Wiesbadener Bundeskriminalamtes glauben, an beschlagnahmten Taschen, Handschuhen und Behältern Spuren von Sprengstoffkomponenten gefunden zu haben, die auf eine Tatbeteiligung beim Weiterstadt-Anschlag deuten.

Ermittelt wird seither gegen Andrea W. wegen des Verdachts einer Tatbeteiligung in Weiterstadt – gegen die Frau, die aus Frankfurt verschwunden ist, wurde inzwischen auch Haftbefehl erlassen. Vier HausbewohnerInnen, die sich weigerten, als Zeugen vor der Bundesanwaltschaft anzutreten, wurden zu fünf Monaten Beugehaft verurteilt.

Ein Sprengstoffund belastet Steinmetz

Monate nach Bad Kleinen wurden auch die früheren Fahrzeuge von Steinmetz sichergestellt, ein Motorrad und ein PKW. Das Zweirad hatte inzwischen Andrea W. übernommen. Bei einer der Hausdurchsuchungen im Frankfurter Wohnprojekt wurden die zum Motorrad gehörigen Koffer beschlagnahmt. Mancher im BKA wird sich heute wünschen, diese nicht gefunden zu haben, denn mit dem Fund gerät der V-Mann ins Zwielicht. Im Gegensatz zu allen vagen anderen Sprengstoffspuren, ergab die kriminaltechnische Auswertung der beiden Koffer eine „ungewöhnlich hohe Konzentration von Sprengstoffkomponenten“. Zum Zeitpunkt des Anschlages waren nach Angaben seiner damaligen Mitbewohner die Koffer im Besitz von Steinmetz. Der aber bestritt bei einer Vernehmung, diese überhaupt besessen haben. Mit anderen Worten: Das einzige harte Indiz für eine Tatbeteiligung führt direkt zu Steinmetz.

Die Bundesanwaltschaft schweigt auf Anfrage eisern zum Komplex Steinmetz. In der Behörde aber muß der einstige V-Mann als ausgesprochen suspekt gelten. Mittlerweile wurde nicht nur ein neues Ermittlungsverfahren gegen Steinmetz eingeleitet, er wird inzwischen sogar mit einem beim Bundesgerichtshof erwirkten Haftbefehl gesucht.

Nur, ob die Karlsruher Behörde den Mann jemals zu fassen kriegt, ist völlig offen. Über das Bundesamt für Verfassungsschutz wurde die ehemalige Topquelle mit einer neuen Identität ausgestattet – und die kennen weder Bundesanwaltschaft noch BKA. So suchen die einen Steinmetz, und die anderen verbergen ihn. Trotzdem erklärt Hans-Gert Lange, Sprecher des Bundesamtes, tapfer, „es gibt keinen Gegensatz zwischen Bundesanwaltschaft und Bundesamt“.