: Staatliches Unrecht mit beschränkter Haftung
■ Berliner Landgericht: Stasi-Chef Mielke muß keinen Schadensersatz für einen Häftling zahlen, den er 1952 in der DDR wegen Spionage in den Knast geschickt hat
Berlin (taz) – Erich Mielke einmal anders – gestern befaßte sich kein Strafgericht mit dem ehemaligen Minister für die Staatssicherheit der DDR, sondern eine Zivilkammer des Berliner Landgerichts. Ein Exhäftling der DDR hatte den früheren Stasi-Chef auf Schadensersatz verklagt. 55.300 Mark, so die Forderung des Klägers, sollte Mielke für das erlittene Unrecht löhnen. Hinzu sollte ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Mark kommen. Doch die 22. Kammer des Berliner Landgerichts wies die Klage schon nach knapp einstündiger Verhandlung zurück. Mielke, so lautete die Urteilsbegründung, könne nicht persönlich haftbar gemacht werden. Denn für „staatlich geprägtes und gewolltes Unrecht“ hafte nur der Staat.
Am 18. März 1952 war der damals 22jährige Horst Hölig in Ost- Berlin auf offener Straße festgenommen und ins Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen gebracht worden. Hölig heute: „Ich wurde in ein Auto gestoßen und fand mich wenig später im illegalen Privatknast von Herrn Mielke wieder.“ Mielke – damals Staatssekretär im Innenministerium der DDR – soll am kommenden Tag persönlich die Haft veranlaßt haben. Dies, so Hölig, gehe aus entsprechenden Stasi-Unterlagen hervor. Erst im April 1952 stellte ein Hauptmann der Volkspolizei den Haftbefehl aus. Hölig wurde vorgeworfen, als Agent für den französischen Geheimdienst zu arbeiten. In der Haft, so Hölig, habe man durch schwere Schläge ein Geständnis von ihm erpreßt. In einem Schnellverfahren vor dem Landgericht Greifswald wurde er dann wegen Spionage und Boykotthetze zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Fünf Jahre davon mußte der angebliche Spion absitzen. Mit schwerer Rippenfellentzündung, Lungentuberkulose und einem Herzschaden wurde er 1957 in die BRD entlassen.
„Das alles habe ich dem Erich Mielke zu verdanken“, ist Hölig heute überzeugt. Das Urteil von 1952 wurde nach der Wende als rechtsstaatswidrig aufgehoben. Doch das ist dem heutigen Vorsitzenden des nordrhein-westfälischen Landesverbandes der Opfer des Stalinismus nicht genug. Er will Schmerzensgeld – von Mielke persönlich – und möchte den Instanzenweg der bundesdeutschen Gerichtsbarkeit ausschöpfen, um an sein Ziel zu kommen. Seine Chancen für dieses Unterfangen stehen allerdings schlecht. „Mielke kann man heute nicht persönlich zur Rechenschaft ziehen“, erklärte der Vorsitzende Richter der Berliner Zivilkammer, Rudolf Zukowski, gestern. Auch wenn ein Staat generell unrecht handele, könne der einzelne dafür nicht persönlich haftbar gemacht werden. Dies könnte immerhin Folgen haben, die ins „Uferlose ausarten“.
Daß DDR-Machthaber nach dieser Entscheidung persönlich nicht verantwortlich zu machen sind, wertete auch das Gericht als „bitter“. Soweit die Betroffenen nach der Wende rehabilitiert worden seien, sei die Frage der Entschädigung jedoch im Rehabilitierungsgesetz geregelt. Karin Flothmann
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