Sanssouci
: Vorschlag

■ Camp auf bundesdeutsch. „Homo erectus“: Eine Werkschau mit Filmen von Michael Brynntrup

Was ein ehrenwerter Experimentalfilmer ist, mit dem ist nicht zu spaßen. Wenn allerdings Michael Brynntrup seine ZuschauerInnen mit den Worten „sehr entnervtes Publikum“ begrüßt, ist das ein echt Brynntrupscher Witz. Die Anfänge vor gut zehn Jahren waren Kurzfilme wie „Der Rhein – ein deutsches Märchen“ (1984), eine autobiografische Familienuntersuchung auf Super-8 unter der Präambel „Da wo ich herkomme, bleibt man zu Hause. Es sei denn man macht Urlaub oder zieht in den Krieg“. Auch in „Handfest – freiwillige Selbstkontrolle“ (1985) werden ähnliche Darstellungsmethoden benutzt, die ebenso für spätere Arbeiten maßgebend wurden. Versatzstücke der Filmgeschichte, als die Bilder noch laufen lernten, werden mit Found-footage-Material versetzt, Zwischentitel mit Stummfilmflair regeln den dramaturgischen Verlauf, während Brynntrup selbst sein liebster Hauptdarsteller ist. Selbstportraits werden bis in den Pixel-Bereich aufgelöst, bis in der Pupille ein Totenköpfchen sichtbar wird. Da arbeitet sich jemand ab: am Filmemachen an sich, an katholischer Tradition, schwuler Erotik und dem Motivschatz der Populärkultur.

„All you can eat“ (1994)

Seit seinem Debütfilm in den Sektionen Forum und Panorama der Berlinale vertreten, zeigen Arsenal, Eiszeit und Babylon- Mitte jetzt kurz vor Festivalbeginn unter den Titel „Homo Erectus“ eine zwölfteilige Werkschau.

Stets mixt Brynntrup kontruktivistische Strenge mit trivialen Elementen und Kitsch-Anleihen, das Ergebnis ist camp auf bundesdeutsch. Wenn es denn wie im viertelstündigen Werk „Narziss und Echo“ (1990) fiktional wird, wird zumindest gleich noch ein neues Genre miterfunden. Die griechische Mythos-Adaption hebt unter Mitwirkung der Crème de la Crème der Berliner Tuntenszene die Gattung „Rätselfilm“ aus der Taufe. Ganz pseudo- puristisch gibt er sich als besondere Form des Unterhaltungsfilms, „bei dem der Inhalt aus dem formalen Gefüge des Films erraten werden muß“. Lokalmatadorin „Tima die Göttliche“, synchronisiert von Ichgola Androgyn, tollt samt Gespielinnen durch den Neuköllner Körnerpark, daß die Reifröcke und Puderperücken nur so wogen.

„Die Statik der Eselsbrücken“ (1991) Fotos: Verleih

Der Rückgriff auf Genrematerial schafft auch den Rahmen für spätere Filme. In „Liebe, Eifersucht und Rache“ (1992) wird telefoniert und über Filme diskutiert. Die Mischung aus Tele-Serie und Seventies-Pornotouch gibt eine Idee davon, wie es sein könnte, wenn die Jungs von „Village People“ einen netten Kinoabend planen und dann doch in der Lederbar landen.

„Aide Mémoire – ein schwules Gedächtnisprotokoll“, der auch auf der Berlinale zu sehen sein wird, ist Michael Brynntrups neuester Film. Es ist das unkonventionelle Portrait des aidskranken und 1993 gestorbenen Fotografen Jürgen Baldiga. Skizzenartig und dabei sehr persönlich ist im Verlauf eines Gesprächs am Küchentisch ein sehr berührendes Erinnerungsbild entstanden. Die fotografische Arbeit ist dabei ebenso Thema wie Alltäglichkeiten und das Fortschreiten von Baldigas Krankheit. Von ihm stammt auch der Epilog des Films: „Unkraut vergeht nicht, es verblüht nur.“ Gudrun Holz

„Homo Erectus“, Filme von Michael Brynntrup. Heute, 21.15 Uhr, Babylon-Mitte, Rosa-Luxemburg-Straße 30, Mitte; Sonntag, 11. Februar, 18 Uhr, Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 20, Kreuzberg; Montag, 12. Februar, 21 Uhr, Arsenal, Welser Straße 25, Schöneberg