Selbstmord in Berlin erregt Paris und Rabat

■ Zweifel am mysteriösen Selbstmord eines Marokkaners. Vorwürfe gegen Justiz, an Aufklärung uninteressiert zu sein

Der Tod eines Marokkaners in Berlin sorgt in seinem Heimatland und in Paris für Schlagzeilen. Anfang Februar berichtete das Pariser Massenblatt Le Parisien unter der Überschrift „Ominöser Tod eines Mathematikers“. Auch marokkanische Tageszeitungen berichteten über den 30jährigen Diplommathematiker Mohammed Sbai, der am 6. Oktober letzten Jahres tot in der Wohnung seiner ehemaligen Freundin gefunden wurde. Selbst das marokkanische Parlament in Rabat beschäftigte sich in Form einer Anfrage mit dem ungeklärten Tod. Auch die marokkanische Botschaft in Bonn hat sich in den Fall eingeschaltet.

Vier Monate nach dem Tod von Mohammed Sbai ist weiterhin ungeklärt, ob Fremdverschulden vorliegt. Seit nunmehr einem Vierteljahr ermittelt die Berliner Polizei ohne Ergebnis. Justizsprecher Rüdiger Reiff begründet die lange Dauer der Ermittlungen damit, daß „einige Sachen unklar“ seien. Welche, wollte er aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht sagen. Familie Sbai ist überzeugt, daß nur Fremdverschulden zum Tode ihres Sohnes geführt haben kann, und der Fall vertuscht werde.

In einem umfangreichen Dossier hat die Familie akribisch aufgeführt, was gegen einen Selbstmord spreche: Der an die Eltern adressierte Abschiedsbrief sei in französisch geschrieben. Doch die in Marokko lebenden Eltern sprechen kein Französisch. Die Schrift sei nicht die von Mohammed, einige Vornamen von Familienangehörigen seien falsch geschrieben. Außerdem sei Mohammed, der vor einigen Jahren für ein Aufbaustudium nach Deutschland kam, ein sehr motivierter und fröhlicher Mensch gewesen, der dabei war, sich eine neue Wohnung einzurichten und seine Promotion am Max- Planck-Institut vorzubereiten. Drei Stunden vor seinem Tod, so Bruder Youssef, habe er noch mit ihm telefoniert. Mohammed habe ihm erzählt, daß er abends mit Freunden in eine Diskothek gehen wolle. Auf einen für den frühen Nachmittag vereinbarten Anruf habe er vergeblich gewartet. Da war sein Bruder bereits tot.

Völlig fassungslos reagierten die Familie und Freunde des Verstorbenen auf die anfänglichen Polizeiermittlungen, die am Selbstmord keine Zweifel ließen. Erst nachdem sich Familie Sbai an die marokkanische Botschaft in Bonn wandte, und diese an die Staatsanwaltschaft schrieb, kam etwas Bewegung in die schleppenden Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft teilte der Botschaft mit, daß die Polizei bis zum November von einem Selbstmord Mohammeds ausgegangen sei, sagte eine Botschaftsmitarbeiterin zur taz.

Trotzdem haben die Angehörigen des Toten den Eindruck, daß die Polizei nicht objektiv ermittelt. „Wir haben den Eindruck, daß alle Welt den Vorfall vertuschen will“, schreibt Familie Sbai in dem von Youssef zusammengestellten Dossier. Ein Schriftvergleich, den die Berliner Anwältin der Familie, Karin Patthoff-Saber, bereits im November letzten Jahres beantragt hatte, ist bisher noch nicht erfolgt. Weiterhin fragt sich die Familie, wieso sich Mohammed ausgerechnet in der Wohnung seiner Ex- Freundin, von der er sich aufgrund ihrer labilen Persönlichkeit 1993 getrennt habe, umgebracht haben soll.

„Es ist unerträglich für die Familie des Verstorbenen“, schrieb Anwältin Patthoff-Saber im November an die Staatsanwaltschaft, „keinerlei Informationen über den tatsächlichen Ablauf des Sterbens ihres Bruders zu erhalten“. Sie stellte eine Dienstaufsichtsbeschwerde. Es gebe keine „vernünftige Erklärung für die schleppenden Ermittlungen“, so die Anwältin: „Die Familie hat das Recht zu erfahren, ob da was nicht stimmt.“ Barbara Bollwahn