"Der Zwang zu starten ist groß"

■ Luftfahrtexperte Rudolf Braunburg über die Sicherheit am Himmel und die Katastrophe in der Dominikanischen Republik. Ein Blitzeinschlag bringt kein Flugzeug zum Absturz

taz: Wie schätzen Sie die Unglücksmaschine ein?

Rudolf Braunburg: Die Boeing 757 ist ein zuverlässiger, bewährter Typ. Es ist auch erst das zweite Unglück mit dieser Maschine.

Ist nicht ein bestimmter Prozentsatz von Flugzeugabstürzen der ganz normale Preis für unsere grenzenlose Mobilität?

Selbstverständlich. Die Zahl der beförderten Passagiere nimmt ständig zu und damit auch die Zahl der Unfälle. Dennoch ist das Flugzeug heute das sicherste Verkehrsmittel, auch sicherer als die Bahn.

Boeing-Chef Frank Shronz hat prophezeit, daß – wenn immer mehr Leute immer öfter fliegen – im Jahr 2010 jede Woche ein Flugzeugunglück geschieht.

Das ist Sensationsmache. Das wäre vielleicht der Fall, wenn wir das heutige Sicherheitsniveau nicht mehr verbessern. Aber die Technik entwickelt sich ja ständig weiter.

Nicht immer zum Vorteil. Sie haben kritisiert, daß der Computer im Cockpit große Probleme verursacht. Der Pilot wird entmündigt und zum passiven Beobachter degradiert. Er fühlt sich mehr und mehr vom tatsächlichen Fliegen ausgeschlossen.

Was die moderne Elektronik an Sicherheit dazugebracht hat, wird wieder aufgehoben, weil die Besatzung eine größere Belastung hat. Die Crew wird nicht entlastet im modernen Cockpit, sondern belastet. Dies sieht man schon allein daran, daß die Trainings- und Ausbildungszeiten immer länger werden.

Können die Piloten angesichts der Vielzahl von automatischen Abläufen in einer Krisensituation überhaupt noch den Überblick behalten?

Was ist eine Krisensituation? Die Piloten müssen heutzutage alle Halbjahre nachweisen, daß sie mit jeder denkbaren technischen Störung klarkommen. Ein simpler Triebwerksausfall, das macht doch regelrecht Spaß. Das wird alles trainiert. Aber es gibt oft unglückliche Verkettungen.

Es heißt, daß beim Unglück vor der Dominikanischen Republik möglicherweise ein Blitz eingeschlagen habe.

Das ist Blödsinn. Ich habe auf einigen Flügen manchmal sechs oder sieben Blitze bekommen. Das ist ein kurzes trockenes Ticken, und dann schreibt der Flugingenieur das in sein Bordbuch. Und das war es dann.

Ein Ausfall einzelner Bordsysteme wäre dabei doch denkbar?

Das könnte schon mal sein. Aber es gibt so viele Ersatzgeräte, daß hier einfach nur umgeschaltet wird. Die eigentliche Gefahr bei einem Gewitter ist nicht der Blitz, sondern die parallel auftretende Turbulenz. Wenn in der Startrichtung offenbar schwere Gewitter waren, dann könnte hier möglicherweise eine Unfallursache zu suchen sein.

Was kann bei einem Gewitter passieren?

Im Extremfall kann eine Maschine in schwerer Turbulenz außer Kontrolle geraten. Es könnten auch Brüche entstehen. Das Flugzeug würde dann nicht gleich auseinanderfallen, aber es könnten Beschädigungen eintreten. Das sind Extremereignisse, aber das Wetter ist in dem Unglücksgebiet manchmal so extrem.

Warum fliegt man dann in solch eine Gewitterfront?

Man muß ja irgendwann starten. Natürlich versucht man anhand der Radaraufzeichnungen, möglichst ungeschoren durchzukommen. Aber der Zwang für die Piloten, eben doch zu starten, ist sehr groß. Ich habe in solchen Situationen manchen Start abgelehnt. Aber es war nicht immer einfach, dies hinterher gegenüber der Gesellschaft zu verteidigen. Lassen Sie mal 300 Passagiere stehen, weil's am Horizont ein bißchen blitzt.

Wie groß ist der Spielraum für eine Gesellschaft, was die Sicherheit angeht?

Relativ groß. Sicherheit betrifft ja auch die Ruhezeiten der Piloten, die Zahl ihrer Flugstunden, die Ausbildungs- und Trainingsmöglichkeiten, die Wartung. Da gibt es große Spielräume nach beiden Seiten.

Geht der ruinöse Wettbewerb in der Luftfahrt nicht auch auf Kosten der Sicherheit?

Natürlich. Da wird gespart an allen Ecken und Enden. Interview: Manfred Kriener

Der Luftfahrtexperte Rudolf Braunburg hat seine Erfahrungen als langjähriger Pilot in vielen Büchern publiziert. Im Beck Verlag erschien: „Der überfüllte Himmel – Luftfahrt im 21. Jahrhundert“.