„Inhaltsleere Debattenrituale“

Die CDU-Mecklenburg-Vorpommerns geht in einem Thesenpapier mit ihrer Bundespartei hart ins Gericht und erntet prompt empörte Kritik  ■ Von Christoph Seils

Die Antwort von Rote-Socken-Hinze war kurz und bündig. Die Vorwürfe seien „mehr als abwegig“, so ließ der CDU-Generalsekretär in Bonn verkünden. Den Autoren fehle es am nötigen politischen Stil. Der Grund seiner Empörung: In einem 30seitigen Diskussionspapier hatte der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Eckhardt Rehberg, in Abstimmung mit seinen Fraktionskollegen seiner Partei mangelnde Reformfähigkeit vorgeworfen und Erneuerung angemahnt.

„Identitätsgewinn im Aufbau Ost“, sind die Thesen überschrieben, die in den ostdeutschen CDU- Landesverbänden und auch im Konrad-Adenauer-Haus für erhebliche Aufregung gesorgt haben. Die CDU habe Probleme, so schreibt Rehberg, „sich auf gesellschaftliche Veränderungen einzustellen und flexibel zu reagieren.“ Das „weitverbreitete Prinzip der materiellen und geistig-kulturellen Besitzstandswahrung, vor allem in Kreisen der mittleren und älteren Politikergeneration, blockiert eine stete Erneuerung der Partei.“

Zwar wird der Bundeskanzler und CDU-Bundesvorsitzende auf keiner der 30 Seiten erwähnt, aber zwischen den Zeilen ist der Adressat der Kritik nicht zu überlesen. So zum Beispiel, wenn Rehberg die „inhaltsleeren Debattenrituale“ in „westdeutschen Politikerkreisen“ beklagt oder über den Aktionismus spottet, der sich oft in einer „reinen Ankündigungs- und Darstellungspolitik“ erschöpfe – und zwar mit dem einzigen Ziel, medienwirksam schnelle Schlagzeilen zu produzieren. Im westlichen Teil Deutschlands werde, so der CDU-Mann aus dem Osten, die Wohlstandsspirale immer höher geschraubt. „Dies hat zur Folge, daß jetzt die Augen vor den vielfältigen Problemen verschlossen werden.“ In Deutschland herrsche kein reformfreudiges Klima, die Probleme würden „vor sich her geschoben“.

Die CDU in Mecklenburg-Vorpommern wird zunehmend nervös, denn ihr sitzt unübersehbar die PDS im Nacken und mit ihr eine Mehrheit, die im nördlichsten der neuen Bundesländer ohne die Christdemokraten auskommen könnte. Natürlich erklärt Rehberg seine Partei zur „einzig berechenbaren politischen Kraft“ in Mecklenburg-Vorpommern. Führungskräfte in der SPD bereiteten sich inzwischen „auf eine feste Zusammenarbeit mit der PDS vor“. Die PDS arbeite „ohne Zweifel zielstrebig auf eine baldige Regierungsbeteiligung hin“, und Rehberg ist auch nicht verborgen geblieben, daß die PDS versucht, mit „sozialen und bundespolitischen Themen“ die Große Koalition im Schweriner Landtag aufzubrechen.

Sein Plädoyer lautet daher: Ohne eine „gesamtdeutsche Reform- und Wertedebatte“ in der Partei und ohne eine „grundsätzliche inhaltliche und organisatorische Erneuerung“ werde die CDU „künftig kaum in der Lage sein, weiterhin strategische Mehrheiten zu erlangen sowie dauerhaft die Meinungsführerschaft in den wichtigsten Themenbereichen zu übernehmen“.

Der PDS glaubt Rehberg weder mit „unnötigen Polarisierungen“ noch mit „dogmatischem Lager- und Schubladendenken“ begegnen zu können. Den sozialistischen Staat habe „der überwiegende Teil der DDR-Bevölkerung nicht als persönliche Bedrohung empfunden. Daher lasse sich „die Gefahr des erstarkten Neokommunismus“ kaum vermitteln. Dies erkläre auch, warum „sowohl objektive Vergangenheitsaufklärung als auch emotionale Rote-Socken- Kampagnen nicht zu einem Rückgang des PDS-Wählerpotentials“ führten.

Kaum hatte Peter Hintze diese Thesen kritisiert, ließen die Kollegen aus den anderen ostdeutschen Landesverbänden die Parteifreunde in Mecklenburg-Vorpommern im Regen stehen. Während Eckhardt Rehberg darauf besteht, die Thesen nicht nur mit der eigenen Fraktion abgestimmt, sondern vor allem auch mit dem stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Christoph Bergner und dem sächsischen Landesvorsitzenden Hähle diskutiert zu haben, distanzierten sich beide von dem Papier aus dem Schweriner Landtag. So erklärte Christoph Bergner, der gleichzeitig Fraktionsvorsitzender der CDU im Landtag von Sachsen Anhalt ist, für eine angeregte Strategiediskussion gebe es keine Mehrheit. Und während der thüringische CDU-Fraktionsvorsitzende, Christian Köckert, zumindest Gesprächs- und Diskussionsbedarf signalisierte, forderte der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel, den ostdeutschen Parteivize Christoph Bergner auf, dafür zu sorgen, daß Alleingänge einzelner nicht der gesamten ostdeutschen CDU zugerechnet würden. CDU-Generalsekretär Hintze räumte zwar Probleme bei der Repräsentanz von Frauen in der Partei ein, nutzte die Gelegenheit aber auch, um das ostdeutsche Engagement der eigenen Partei zu loben. Die CDU habe als erste deutsche Partei ein gesamtdeutsches Grundsatzprogramm verabschiedet.

Eckhardt Rehberg, der mit soviel Kritik nicht gerechnet hatte, gab sich vor allem darüber enttäuscht, daß viele das Papier offenbar nicht gelesen hätten.

Im eigenen Landesverband will Rehberg jedoch nur positive Reaktionen vernommen haben. Es habe, so Rehberg, sogar spontane Parteieintritte gegeben.