Der Vulkan heizt den gelassenen Bremern ein

■ Bremen, Spitzenreiter im Westen, hat sich bisher mit der Arbeitslosigkeit arrangiert. Aber der drohende Konkurs ihrer Werft geht den Leuten an die Nieren

Mit 15 Prozent offiziell registrierter Arbeitslosigkeit liegt Bremen in der Statistik mit Abstand vor allen anderen westdeutschen Ländern. Doch während der wirtschaftliche Niedergang im Ruhrgebiet bei ähnlichen Arbeitslosenzahlen fast an jeder Ecke zu spüren ist, sieht man der alten Handelsstadt an der Weser den Verfall nicht an. Dabei hat es in der Bremer Werft- und Schwerindustrie seit Ende der 70er Jahre fast regelmäßig Massenentlassungen gegeben. In den 90ern kam der Rausschmiß aller Zivilangestellten der abziehenden US-Truppen dazu. Und die Bremer Universität produziert seit ihrer Gründung in den 70er Jahren jedes Jahr Arbeitslose in Tausenderzahlen.

„Das städtische Leben ist eine erstaunlich elastische Struktur“, erklärt sich Robert Bücking die unauffällige Massenarbeitslosigkeit. Der grüne Stadtteilbürgermeister im alternativen Ostertor-Viertel kennt den Hintergrund aus eigener Erfahrung. Mit Hilfe des Arbeitsamts gründete er eine kleine Firma, bevor er zum Ortsamtsleiter gewählt wurde. Sechs Jahre lang hatte er in den 80er Jahren mal mit Arbeitslosengeld, mal mit einer ABM-Stelle als Schlossermeister in einem alternativen Ausbildungsprojekt versucht, Jugendliche fitzumachen für den ersten Arbeitsmarkt. „Ein paar haben es auch geschafft, anschließend einen Job in einem mittelständischen Unternehmen zu finden, zum Beispiel als Windanlagenspezialist“, erinnert sich Bücking. Die meisten seiner ehemaligen Azubis jedoch haben anschließend studiert oder bewegen sich seit Jahren zwischen Arbeitslosigkeit, gering bezahlten Jobs in Alternativprojekten und ab und zu einer gutdotierten Stelle im Bremer Programm „Arbeit statt Sozialhilfe“ oder als ABM-Kraft.

Über 4.000 ABM-Stellen gab es noch Mitte der 80er Jahre in Bremen, die meisten für arbeitslose Akademiker. Inzwischen sind es nur noch 2.000, und Akademiker finden sich nur noch wenige darunter. Doch dieser drastische Abbau des zweiten Arbeitsmarktes verlief weitgehend unauffällig. „Höchstens in der Stadtbücherei kann man einige aus der alten Szene beim Zeitunglesen finden“, meint Paul Schröder, Geschäftsführer eines alternativen Trägers für Aus- und Fortbildung.

Bremens Alternativmilieu hat sich mit der Arbeitslosigkeit arrangiert. Doch selbst in den Arbeiterstadtteilen, in denen in den 70ern die Werften schlossen, ist die Arbeitslosigkeit auf der Straße kaum zu sehen. Viele der Entlassenen haben sich mit staatlicher Unterstützung umschulen lassen und im boomenden Bremer Mercedes- Werk neue Arbeit gefunden. Oder sie sind mit guten Abfindungen in Frührente gegangen.

Heute wäre das wohl anders. „Wenn der Vulkan Konkurs geht, dann gibt es für uns in der ganzen Region keine Hoffnung auf einen neuen Job mehr“, sagt Jürgen Bullwinkel, seit 26 Jahren Schiffsbauer auf der letzten Bremer Werft. Der drohende Konkurs des Vulkans geht den stolzen Werftarbeitern mit dem orangefarbenen V auf dem Blaumann an die Nieren.

Die trübe Stimmung auf der Werft hat inzwischen auch die Reihenhausquartiere erreicht, in denen die Arbeiterfamilien wohnen. „Zu Hause werden wir ständig auf die Konkursmeldungen angesprochen“, erzählt der Schweißer Gerhard Hustedt, Vater von drei Kindern. „Kaum haben wir ihnen mühsam die Sorgen ausgeredet, steht am nächsten Tag schon wieder der nächste Hammer in der Zeitung“, seufzt der 45jährige. Sein Kollege Joachim Gross hat die Bremer Lokalzeitung schon abbestellt. Zu sehr nervten ihn die täglichen Horrormeldungen über die Zukunft des Vulkans. Aber seine Frau verdiene gut, Kinder habe er keine. „Da kann ich gelassener sein als die meisten Kollegen“, sagt der 37jährige. D. Asendorpf/J. Fahrun, Bremen