Kein Allheilmittel

Unser Grundgesetz sieht in Artikel 29 vor, daß das Bundesgebiet neu gegliedert werden kann. Dabei sind die landsmannschaftliche Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit sowie die Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung zu berücksichtigen.

Gegenwärtig wird auch im norddeutschen Raum eine Neugliederung der Länder als wirtschaftliches und finanzielles Allheilmittel angeboten. Es ist aber nicht unmittelbar zu erkennen, ob die Zusammenlegung vier finanzschwacher Länder (Bremen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein) mit einem finanzkräftigen (Hamburg) wirklich zu mehr gemeinsamer Finanzkraft führt.

Sicher wäre die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit positiv zu bewerten. Dem stehen jedoch auch die anderen Forderungen des Grundgesetzes, zum Beispiel die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge entgegen. Im übrigen finde ich die Debatte zur Neugliederung sehr technokratisch. Es scheint darum zu gehen, in dem Bundesstaat Deutschland gleichgroße Provinzen zu installieren.

Ein Bundesstaat zeichnet sich gerade dadurch aus, daß die teilnehmenden Länder in diesem Bund unterschiedliche Größen haben. Dies wird sehr deutlich, wenn wir den Blick auf zwei alte und gewachsene Demokratien werfen, nämlich die Schweiz und die Vereinigten Staaten von Amerika.

Bei rund 250 Millionen Einwohnern sind die USA bekanntlich ein Bund aus 50 Staaten, deren größter, Kalifornien, rund 30 Millionen Einwohner und deren kleinster, Wyoming, nur 450.000 Einwohner zählt. Die durchschnittliche Größe der US-Bundesstaaten ist also exakt genauso groß wie die durchschnittliche Bewohnerzahl der Bundesländer, rund fünf Millionen. Zugleich ist aber die Abweichung zwischen dem größten US-Bundesstaat und dem kleinsten viel größer als der zwischen Nordrhein-Westfalen (17 Millionen) und Bremen (0,65 Million).

Noch größer sind die Unterschiede in der Schweiz, die sich bei 6,9 Millionen Einwohnern in 26 Kantonen organisiert hat, wobei im größten Kanton, Zürich, 1,2 Millionen Menschen leben. Dagegen leben nur 14.000 in dem kleinsten Kanton Appenzell-Innerrodden.

In keinem dieser beiden Bundesstaaten wird jedoch eine Debatte zu einer Neugliederung geführt. Vielleicht könnte man in der Bundesrepublik Deutschland auch einen anderen Weg wählen und den Bundesländern die Möglichkeit eröffnen, eigene Steuern zu erheben. Bisher wirken die Länder nur über ihre Regierungen an der Steuergesetzgebung des Bundes im Bundesrat mit.

Wenn die Hamburger oder die Bremer, denn Länderneugliederung heißt auch Volksabstimmung darüber, lieber selbständig bleiben wollen, könnte man durch Zuschläge oder Abschläge zu bestehenden Steuern auch den „Preis“ für die Selbständigkeit verdeutlichen. Zugleich hätten die Länderparlamente eine politische Aufwertung erfahren, denn sie beschlössen nicht nur über Ausgaben, sondern auch über konkrete Einnahmen.