Der Körper ist nur eine weitere Hülle

Auf der Suche nach einer weiblichen Ästhetik: Die Veranstaltungsreihe „Weibliches Schreiben: Versionen der Differenz“ nächste Woche in der Literaturwerkstatt will den Backlash in der Feminismusdebatte überwinden  ■ Von Cristina Nord

Über die schreibende Frau wußte Simone de Beauvoir wenig Schmeichelhaftes zu sagen: „Sie ergießt sich in Unterhaltungen, Briefen, Tagebüchern. Sie braucht nur ein wenig ehrgeizig zu sein, und schon bearbeitet sie ihre Memoiren, schreibt sie ihre Biographie zu einem Roman um, läßt sie in Gedichten ihren Gefühlen freien Lauf. Sie hat viel freie Zeit, die solche Betätigung begünstigt“, heißt es in der umfangreichen Studie „Das andere Geschlecht“, die Beauvoir 1949 veröffentlichte.

Die Frau sei „als schwatzhaft und schreibselig bekannt“, und die literarische Tätigkeit gelte ihr als eine Art „Handarbeit“. Oder auch als Therapie: „Oft wirft sich die Frau in ihren Wechseljahren auf den Pinsel oder die Feder, um die Schwächen ihrer Existenz auszugleichen.“ Auch wenn Beauvoir die sozialen Zwänge und Einschränkungen, mit denen Frauen zu kämpfen haben, für das Unvermögen zu schreiben verantwortlich macht: Ihr Urteil ist harsch. Und paradox zugleich, denn schließlich kommt es von einer Frau, die eben nicht nur durch ihre Beziehung zu Jean-Paul Sartre, sondern gerade durch ihre Romane und Essays bekannt wurde.

Daß sich weibliches Schreiben nicht, wie Beauvoir mutmaßte, in einem Hang zum Plappern, in Scheu vor intensiver Arbeit oder in Gefallsucht erschöpft, dürfte heute niemand mehr bestreiten wollen. Zwar gehört es inzwischen wieder zum guten Ton, den Feminismus totzusagen und das Schreckbild der hysterischen Emanze zu malen. Doch zugleich hat sich eine vielgestaltige feministische Theorie herausgebildet. Ob Frauen anders schreiben als Männer, und worin das Charakteristische einer weiblichen Schreibweise liegt, sind nur einige der Fragen, die in der theoretischen Diskussion immer wieder aufgeworfen werden. Besonders die Rolle, die Weiblichkeit in einer von Männern geprägten symbolischen Ordnung spielen kann, steht zur Debatte.

Die Veranstaltungsreihe „Weibliches Schreiben: Versionen der Differenz“, die ab Montag in der Literaturwerkstatt stattfinden wird, möchte diesen Fragen nachgehen. Nicht zufällig steht dabei der Begriff der Differenz im Mittelpunkt. Geprägt wurde er in den sechziger Jahren, als sich Wissenschaftlerinnen wie Luce Irigaray, Julia Kristeva und Hélène Cixous Vokabular und Werkzeug des Dekonstruktivismus aneigneten, um Weiblichkeit und weibliche Ästhetik neu zu umreißen. Differenz wurde dabei zum Zauberwort, das gleich zweifach wirkte: Einmal, um die Andersartigkeit der Frau gegenüber dem Mann zu beschreiben, und zugleich im Sinne einer unaufhörlichen Verschiebung, die es unmöglich macht, eine einzige, gültige Identität festzuschreiben.

Eine Verlagerung erfuhr die Diskussion durch den Gender-Ansatz, der Geschlecht nicht als biologische Gegebenheit, sondern als soziales Konstrukt begreift. Der Körper ist nur eine Hülle neben vielen anderen, eine Maskerade, mit der sich spielen läßt. Schließlich dehnte sich die Debatte aus, indem sie den Begriff der Differenz auch für kulturelle Unterschiede geltend machte.

Frauen in Afrika, Asien und Lateinamerika haben nicht zwangsläufig dieselben Interessen, Vorstellungen und Denkmuster wie die sogenannten Schwestern im Norden, und auch zwischen einer türkischen Migrantin und einer deutschen Hausfrau können Welten liegen. Zumindest in der Theorie also hat der europäische und nordamerikanische Feminismus den Anspruch auf Absolutheit aufgegeben; die Verschiedenartigkeiten werden akzeptiert und theoretisch wie literarisch fruchtbar gemacht. Erstaunlich bleibt, daß bei so reichhaltiger (und durchaus widersprüchlicher) theoretischer Produktion der Feminismus selbst immer weiter ins Abseits gerät.

Die Lesereihe in der Literaturwerkstatt will sich diesem Backlash entgegenstellen. „Für mich besteht die Hoffnung, daß, gerade weil die Theorie so produktiv ist, davon ein Anstoß ausgeht, damit wieder mehr über Feminismus geredet wird — gerade in Deutschland“, sagt die Literaturwissenschaftlerin Ulrike Stamm, die die Veranstaltung organisiert hat. Durch finanzielle Unterstützung vom Künstlerinnenprogramm des Berliner Senats ist es gelungen, namhafte Wissenschaftlerinnen und Schriftstellerinnen einzuladen. Für Stamm ist es besonders wichtig, Begegnungen von Frauen aus dem Norden und aus dem Süden herzustellen sowie Berührungspunkte zwischen theoretischer und literarischer Produktion herauszuarbeiten.

Gleich am ersten Abend könnte sich beides einlösen. Eingeladen sind Gayatri Spivak, eine Inderin, die an der Columbia University in New York lehrt und zu den Koryphäen auf dem Gebiet der postkolonialen Literatur gehört, sowie Khalida Messaoudi, eine Frauenrechtlerin aus Algerien, die 1993 von der Islamistischen Heilsfront (FIS) zum Tode verurteilt worden ist und seitdem in wechselnden Verstecken lebt. Für Spivak geht es immer wieder um die Frage nach dem Macht- und Abhängigkeitsgefüge zwischen Erster und Dritter Welt. Dabei scheut sie sich nicht, gegen die Feministinnen aus den Industrienationen zu polemisieren, die in ihren theoretischen Konzeptionen zur Weiblichkeit politische und soziale Faktoren vergessen.

„Sobald man den Seminarraum verläßt, wenn das ein ,Lehrender‘ überhaupt jemals tun kann, stellen sich die Vorzüge des akademischen Feminismus, sei er französisch oder nicht, in immer größerem Maße als Gefahren heraus. Gegen Sexismus gerichtete Veränderungen in hiesigen oder französischen Institutionen bewirken vielleicht nichts für, oder verschlimmern sogar noch die Situation der Frauen der Dritten Welt“, schreibt Spivak in einem Essay. Differenz gerinnt schnell zur magischen Formel, wenn sie tatsächliches Konfliktpotential verharmlost und suggeriert, daß alle anders seien, aber doch dieselben Rechte hätten.

Messaoudi hingegen greift in ihrer Analyse des algerischen Fundamentalismus viele Vorschläge der europäischen Theoretikerinnen auf. Die Islamisten, meint sie, stützen sich vor allem auf eins: auf den Ausschluß der Frau aus der Gesellschaft. „Die Fundamentalisten wollen, wie jede totalitäre Bewegung, den totalen Einfluß auf die Gesellschaft, und sie haben verstanden, daß das zunächst über die Kontrolle der Sexualität der Frauen erfolgt“, schreibt Messaoudi in dem kürzlich auch auf deutsch erschienenen Band „Worte sind meine einzigen Waffen“ (Kunstmann Verlag).

Auch wenn ihre eigene Biographie und die beängstigende Situation in Algerien den vorschnellen Schluß nahelegen, daß der Islam insgesamt frauenverachtend sei, hütet sich Messaoudi vor Verallgemeinerungen: Der Islam lasse sich keineswegs auf den Nenner der Islamistischen Heilsfront reduzieren, sondern zeige sehr unterschiedliche Ausprägungen. Damit untergräbt sie das im Westen gängige Vorurteil vom rückständigen, frauenfeindlichen Islam, das nicht zuletzt durch Schriften wie „Nicht ohne meine Tochter“ von Betty Mahmoody geschürt wird.

Ergänzt werden die Perspektiven von Spivak und Messaoudi durch eine Lesung afrikanischer Autorinnen. Am Freitag stellen Yvonne Vera (Zimbabwe) und Véronique Tadjo (Elfenbeinküste) Arbeiten vor, die eine afrikanische Sicht auf Weiblichkeit jenseits der Klischees von der naturverbundenen, starken Frau versuchen. Spivaks Theorien zur „subalternen“ Literatur könnten so durch Texte anschaulich werden, die sich der Bestimmung weiblicher und postkolonialer Identität literarisch annähern.

Ein Thema, das in dem umfangreichen Programm nicht fehlen darf, sind die Unterschiede zwischen Ost und West. „Wenn man in Deutschland von Differenz spricht, dann muß man natürlich auch die neu gewonnene Einheit auf ihre Differenzen befragen“, sagt Stamm. Deswegen ist der Dienstag dem Thema „Ein Erbe unter Stiefschwestern. Schreiben in Ost und West“ gewidmet. Neben der Kulturwissenschaftlerin Dorothea Dornhof sind Jutta Heinrich und Gabriele Stötzer eingeladen, um den jeweiligen Feminismus-Begriff und die unterschiedlichen Schreibweisen auszuloten. „Es gab einen gewissen Vorsprung an Emanzipation in der DDR, aber es gab kaum eine Vorstellung von Feminismus“, meint Stamm und hofft, daß die Lesung „diese Ungleichzeitigkeit herausarbeitet.“

Zwei Abende, die dem Verhältnis zum Körper nachspüren, runden die Veranstaltungsreihe ab. Eine Lücke jedoch bleibt: Der Begriff der Differenz wird nicht im Hinblick auf unterschiedliche Sexualitäten nutzbar gemacht. Mit Katharina Höcker nimmt eine lesbische Autorin teil, die aber, wie Stamm versichert, keinen Text lesen wird, der dies verhandle. Eine theoretische Perspektive fehlt ganz, obwohl gerade in den USA hierzu intensiv geforscht wird. Desinteresse, sagt Stamm, sei nicht der Grund für diese Aussparung. „Ich hätte gerne einen Abend zu Theorien von lesbischem Schreiben und lesbischem Leben organisiert, die ja auch einen Angriff auf Heterosexualität bedeuten.“ Aber trotz intensiver Bemühungen sei es ihr nicht gelungen, eine Theoretikerin für die Veranstaltungsreihe zu gewinnen.

Dort, wo man verschiedene Perspektiven darstellen möchte, besteht oft die Gefahr der Beliebigkeit. Wenn in der feministischen Theorie heterogene Standpunkte zugelassen sind, so werden die Brüche, Reibungsflächen und Widersprüchlichkeiten oft übergangen. „Es gibt wohl im Feminismus ein oberstes Gebot, ein ungeschriebenes Gesetz: die Solidarität zwischen Frauen. Das verhindert vermutlich, daß man sich die massiven Konflikte eingesteht, die durch das Nebeneinander bestehen und vielleicht auch nicht gelöst werden können. Vielleicht wird das von dem Differenz-Begriff verdeckt“, bemerkt Ulrike Stamm.

Wenn es in der Literaturwerkstatt gelingen könnte, genau das zu problematisieren, wäre viel gewonnen — das Zauberwort der Differenz kann Kritik vertragen.

„Weibliches Schreiben: Versionen der Differenz“, 12.–16. 2, jeweils 20 Uhr, Literaturwerkstatt, Majakowskiring 46–48, Pankow. Genaues Programm erfragen unter Telefon: 4824765