: Gläsernes Herz, Erlöser Schwanz
Dieser Bildband nimmt ein Wort Robert Mapplethorpes ernst, wonach ihm sein Werk immer wieder zu „Altären“ gerate. Das war ganz allgemein auf seinen fotografischen Stil gemünzt, aber wie eine kürzlich auf englisch erschienene Biographie enthüllt, hat Mapplethorpe bei sich zu Hause wirkliche Altäre errichtet, die mit allerhand Herz-Jesu- und Marienstatuen, Kruzifixen, Pentagrammen und Satanssymbolen garniert waren. Im Satanismus hatte Mapplethorpe sich eine Möglichkeit geschaffen, sozusagen von der anderen Seite her an der Symbol- und Ritualwelt seiner katholischen Herkunft festzuhalten, aus deren engem Rahmen ihn seine Karriere im quirligen schwulen Sub des New York der 70er Jahre herauskatapultiert hatte. Der vorliegende Band enthält ein Dyptichon, das bei einer sadomasochistischen schwarzen Messe aufgenommen wurde: zwei Bilder – vorher, nachher – eines Penis, in eine furchterregende Apparatur eingespannt und vermutlich recht schmerzhaft gebunden: der Schwanz als gekreuzigter Erlöser. Das delikate Organ macht den Eindruck, als sei es mit dieser Rolle ein wenig überfordert. Armes Ding.
Läßt sich dieses Werk auf Pornographie reduzieren, wie die Konservativen im Streit um Mapplethorpe vor ein paar Jahren suggerierten? Wohl kaum. Mapplethorpe und seine Modelle sind so ernsthaft mit „Sex als transzendenter Suche nach Selbsterfahrung“ (Edmund White) beschäftigt – und sie scheuen dabei, eigentlich gut puritanisch, weder Schmerzen noch die Überwindung äußersten Ekels bei der Einverleibung von Exkrementen –, daß das eigentlich recht ehrenwerte pornographische Ziel der Erregung des Zuschauers (der Zuschauerin) sehr in den Hintergrund tritt. Mapplethorpes Welt, wie sie dieser Band präsentiert, ist eine ebenso trost- wie humorlose Welt steriler Libertinage, und auch die spektakulärsten Exzesse, gewissenhaft dokumentiert und kostbar altarmäßig gerahmt, ergeben dann doch wieder nur Zeugnisse der Unentrinnbarkeit, mit der Mapplethorpes Ästhetik des gläsernen Herzens alles in Totenstarre versetzt, was sein Kameraauge erfaßt. Wer diesen versammelten Midas- Tand ohne Mitleid betrachten kann, muß reichlich hartgesotten sein. So viel Anstrengung zur Überschreitung, ohne doch je dem stahlharten Gehäuse eines pessimistisch-orgiastischen Ästhetizismus zu entkommen.
Robert Mapplethorpe: „Altars“. Mit einem Esssay von Edmund White. Schirmer & Mosel Verlag, 128 Seiten, 107 Farb- und Duotontafeln, geb., 128DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen