Küssen ist Verwestlichung

■ Vor den Wahlen gerät die Kultur im Iran unter Druck: Der in Deutschland lebende Schriftsteller Said über das Verbot der Zeitschrift "Gardun" und die Verurteilung ihres Herausgebers Abbas Maarufi

taz: Welche Bedeutung haben das Verbot von „Gardun“ und die Verurteilung von Abbas Maarufi für die iranische Kulturszene?

Said: „Gardun“ war mehr oder weniger die einzige noch erlaubte kritische Zeitschrift. In den vergangenen Monaten sind mehrere andere Zeitschriften verboten worden. „Gardun“ war die mutigste Zeitschrift. Sie ist eine Art Forum geworden, während andere Zeitschriften immer mehr kuschen. Kritische Autoren werden sehr darunter leiden, wenn auch dieses letzte Forum verboten ist. Ich denke, wenn Maarufi in die Revision geht, wird man von den Peitschenhieben absehen. Die Herrschaften in Teheran wissen, was für einen Schrecken eine solche Strafe im Ausland auslöst. Aber ich fürchte, daß das Verbot von „Gardun“ bleibt.

Wer hat Maarufi angezeigt?

Die Klage ist nicht vom Staat erhoben worden, sondern von einem Journalisten. Dieser Herr Nassiri gibt eine Tageszeitung heraus und ist dafür bekannt, daß er gerne die Rolle des Eiferers spielt. Er geht jetzt einen Schritt weiter als der iranische Staat.

Welche Motive hat Nassiri?

Am 8. März sind im Iran Parlamentswahlen. Maarufi ist zu einem Opfer im Machtkampf zwischen den Fraktionen geworden. Vor den Wahlen wollen die Radikalen klar Tisch machen. Der Erschad- Minister Mir Salim, der für Kultur und Zensur zuständig ist, ist ein Vertreter der harten Linie. Er steht hinter Nassiri und hofft, durch seinen harten Kurs Stimmen zu gewinnen.

Die Wahlen, die ein Zeichen der Demokratisierung sein sollen, werden zum Anlaß für Repression?

Ja. Die Parlamentswahlen und die Präsidialwahlen im Herbst sind sehr wichtig. Nach der iranischen Verfassung darf Präsident Rafsandschani im Herbst nicht mehr kandidieren, weil er zwei Amtsperioden hinter sich hat. Es gibt aber keinen anderen Kandidaten aus seiner Fraktion. Deshalb machen sich die Radikalen sehr große Hoffnungen. Nassiri gehört eindeutig ihrer Fraktion an.

Was wird Maarufi im einzelnen vorgeworfen?

Der Hauptvorwurf betrifft nicht ihn, sondern zwei Autoren, die in „Gardun“ veröffentlicht haben: Den Essayisten Bagher Parham, der die meiste Zeit in Paris lebt, und den Romanautor Huschang Golschiri. Maarufi hat als Herausgeber die Verantwortung. Der Text von Parham ist eine Polemik über Interna der iranischen Schriftsteller. Darin heißt es, die Meinungsfreiheit solle sich nicht nur auf den Widerstand gegen den Schah oder die Herrschaft der islamischen Rechtsgelehrten beziehen, Meinungsunterschiede sollten auch in den eigenen Reihen toleriert werden. Das Gericht behauptet, in dem Passus würde die Herrschaft des Schahs mit der der Rechtsgelehrten verglichen. Damit werde der geistliche Führer Irans, Ali Chamenei, beleidigt.

Ein weiterer Anklagepunkt lautet: Propagierung der westlichen Kultur. Damit ist zum Beispiel das Wort „küssen“ in einer Erzählung gemeint. Beanstandet wird auch, daß ein Foto einer iranischen Autorin ohne Schleier erschienen ist. Nur lebt diese Autorin seit Jahren im Ausland, die Zeitschrift hat gewiß kein Foto von ihr mit Schleier.

Wenn man Maarufis Editorials in „Gardun“ liest, dann ist man erstaunt, wie scharf er bisher die iranische Führung kritisieren konnte. Wie stimmig ist das hierzulande verbreitete Bild von der repressiven Theokratie im Iran?

Die Presse im Iran ist nicht so unfrei wie das Buchwesen. Die Zensur von Büchern ist viel schärfer als die von Zeitungen und Zeitschriften. „Gardun“ wurde schon einmal aus ähnlichen Gründen vor Gericht zitiert wie jetzt. Damals wurde die Zeitschrift aber von den Vorwürfen freigesprochen. Und die Presseorgane der Radikalen attackieren ganz offen die Regierung und decken dabei auch Fälle von Unterschlagung und Korruption auf. Das versetzt einen wirklich ins Staunen.

Sie sagen, ein internationaler Aufschrei über die harte Bestrafung könnte dazu führen, daß im Revisionsverfahren die Peitschenhiebe ausgesetzt werden.

Das ist meine Vermutung. Die Herren in Teheran können auch taktisch denken. Schließlich reicht der Entzug der Lizenz für „Gardun“ als Schlag gegen die Intellektuellen. Maarufi hat vor Gericht gesagt: „Mein Fall ist der Fall aller iranischen Schriftsteller.“ Sie alle leiden unter dem Lizenzentzug.

Ein Aufschrei im Ausland kann aber im Iran etwas bewegen?

Ich will es sehr hoffen – ja.

Kann man denn von Deutschland aus etwas tun? Die Bundesregierung behauptet, sie führe einen „kritischen Dialog“ mit der iranischen Führung.

Dieser „kritische Dialog“ führt dazu, daß der iranische Geheimdienst in der Bundesrepublik freie Hand hat. Das hat der Anschlag auf iranische Oppositionelle in dem Berliner Restaurant „Mykonos“ gezeigt. Von diesem „kritischen Dialog“ halte ich nichts. Aber: Deutschland ist für den Iran enorm wichtig, wirtschaftlich und als Vermittler zwischen Iran und Europa. Diese Karte könnte Herr Kinkel ausspielen, indem er Druck auf die iranische Führung ausübt. Aber ich habe nicht die Hoffnung, daß er es tut.

Im Zusammenhang mit dem Mordaufruf gegen Salman Rushdie ist ein Kulturboykott gegen den Iran gefordert worden. Ist das sinnvoll?

Der Kulturboykott existiert schon. Der Kulturvertrag zwischen Iran und der Bundesrepublik ist lahmgelegt, weil Bundesländer sich geweigert haben, ihn zu ratifizieren. Aber ich halte von einem Kulturboykott viel weniger als von einem Wirtschaftsboykott. Da liegt der Hebel!

Wozu soll es nützen, wenn man jetzt noch einmal ausdrücklich den Kulturboykott erklärt? Daß in Teheran zur Zeit kein Goethe-Institut existiert, ist bereits ein großer Schlag für die iranischen Intellektuellen. Die Kulturabteilung der deutschen Botschaft ist fast auf null reduziert. Deutsche Kultur ist damit in Teheran fast nicht vorhanden. Darunter leiden viele Intellektuelle, und niemand hat etwas davon.

Sind Sie für deutsche Kulturinitiativen im Iran?

Ja, wenn man den Fall Rushdie und den Fall Maarufi dabei nicht außen vor läßt. Man darf nicht die Augen verschließen und der iranischen Führung sagen: Macht, was ihr wollt. Hauptsache, wir vertreten unsere Kultur in Teheran.

Was für einen Rückhalt hat die iranische Kulturszene in der Bevölkerung?

Sie ist kein Ghetto. „Gardun“ hat nur eine Auflage von 35.000, aber viel mehr Leser. Nur wenige trauen sich, die Zeitschrift zu abonnieren, weil die Abonnentenkartei beschlagnahmt werden könnte. Aber die Zeitschrift geht von Hand zu Hand. Die Literatur spielt im Iran die Rolle, die hierzulande die freie Presse hat. Weil es keine freie Presse gibt, muß man halt in Kulturzeitschriften und -zeitungen nachlesen – oft zwischen den Zeilen.

Gibt es Verbindungen zwischen exilierten iranischen Künstlern und Literaten und denen, die im Land geblieben sind?

Das ist einer der Vorwürfe gegen Maarufi. Er hat einen Autor neu vorgestellt, der vor einigen Jahren im Pariser Exil gestorben ist. Aber es gibt gute Kontakte zwischen Exiliranern und denen im Land. Ich habe beispielsweise Maarufi nach seiner Verurteilung angerufen und ihm mitgeteilt, daß das PEN-Zentrum auf seiner Seite steht.

Wie hat er reagiert?

Er hat sich sehr gefreut, aber natürlich war er wortkarg.

Sie selbst leben schon lange Zeit in Deutschland und schreiben nur auf Deutsch. Haben Sie die Hoffnung aufgegeben, irgendwann ein Publikum im Iran zu haben?

Man darf die Hoffnung nie aufgeben. Aber ich glaube nicht, daß es bald soweit sein wird.

Interview: Thomas Dreger