Betonieren mit Gefühl

Eiskaltes Wasser, rabenschwarze Tiefe, sich nur auf den Tastsinn verlassen: Im Baggersee auf dem Potsdamer Platz betonieren Froschmänner das Fundament für die neue Daimler-City  ■ Auf Tauchstation Rolf Lautenschläger

Es ist kalt. Saukalt. Doch Rolf Rohde schwitzt. Eben hat er sich in den engen Taucheranzug gezwängt, der durch den Dauerfrost steif geworden war. Die Hände ließen sich fast nicht in die Arbeitshandschuhe aus Neopren stecken. Der Gürtel mit faustdicken Bleigewichten, die Rohde später am Grund halten sollen, und schwere Werkzeuge schränken seine Bewegungen ein. Und als sich der Froschmann die Sauerstoffflasche auf den Rücken schnallen läßt, geht er leicht in die Knie und stöhnt. Ein paar Minuten später, wenn sich Rohde in das eisige Grundwasser auf der Baustelle am Potsdamer Platz stürzt, wird der Hitzestau aus dem rotschwarzen Schutzanzug weichen. In 17 Meter Tiefe wird er ein Fundament aus Stahl und Beton legen – für das neue Stadtquartier von Debis/Daimler Benz in Berlin. Durch die Baugrube ist ein riesiger Baggersee entstanden, groß wie drei Fußballfelder, mitten in der Stadt.

„Wie im Kühlschrank?“ Um die rote spitze Nase und kleinen Augen des 54jährigen Tauchers Rohde ziehen sich Lachfalten. „Natürlich ist es kalt unter Wasser. Aber im Verhältnis zu den Minusgraden derzeit hier oben ist die Arbeit in der Tiefe fast schon wieder angenehm“. Vier bis acht Grad plus herrschen dort unten – eine Temperatur „wie im April“, sagt Rohdes Boß, der Holländer Chris Raymaker.

Rohde und sein Kollege Fred Lüttge schwanken leicht auf dem gelben Ponton, auf dem die Taucher samt Kran stehen. Das kommt vom Wellengang dreier kleiner Eisbrecher, die unentwegt über den 19.000 Quadratmeter großen Daimler-See tuckern. Die Boote halten das Wasser in Bewegung, damit es nicht zufriert. Trotzdem treiben dicke Eisschollen um den Ponton.

Das kümmert den Unterwasserbetonierer nicht. Der Helm wird am Hals mit einem Ring festgeschnallt, die Welt verengt sich auf den Ausguck durch die Taucherbrille, Geräusche dringen nur noch dumpf ans Ohr. Der Taucher watschelt zur Treppe, steigt ins Wasserloch und ist in der Dunkelheit mit sich allein. Nach knapp 50 Zentimeter Tiefe sieht er im trüben Wasser nicht mehr die Hand vor den Augen. Im Licht der kleinen Lampe am Helm – „die hat nur einen psychologischen Aspekt“ – steigen Luftblasen auf. Dann wird ringsherum alles rabenschwarz.

Angst oder Panik bekommt Rohde nicht. Ein Film von der Unterwasserwelt hat sich im Kopf längst eingegraben: Der Taucher steht im Schlamm der ausgebaggerten Riesengrube, die von hohen Stahlwänden eingefaßt ist. Lange Pfähle sind in den Boden gerammt. Die Betonierfelder werden abgesteckt. Alle Arbeitsabläufe gleichen Blindflügen im Nebel. „Die Orientierung funktioniert über den Tastsinn. Man fühlt den Grund, die Umgebung und den Abstand zum bereits versenkten Pfahl, aber sonst...“

Die Arbeit in der Tiefe ist für Rohde „eine Sache des Gefühls, bei der man sich auf das Team verlassen muß“. Der Rest ist Erfahrung, Routine und Glück. Maximal 90 Minuten arbeitet er pro Tag am Grund. Ein Schlauch versorgt ihn mit Sauerstoff, eine Sicherheitsleine ist mit dem Rettungstaucher verbunden. Jeweils drei Mann sind in dem Unterwasserteam. Während der erste in die eisigen Fluten steigt, gibt der zweite vom Ponton per Sprechfunk Kommandos. Ein dritter steht für den Notfall bereit. Vor zwei Wochen etwa verlor ein Taucher in einer anderen Baugrube Berlins das Bewußtsein und drohte zu ertrinken.

Die Kommandos für Rohde über den Sprechfunk sind kurz: „Achtung.“ „Acht Meter.“ „Links.“ „Rechts.“ „Anker“. „Wir lassen weiter runter.“ Irgendwann senkt sich ein langer Stahlpfahl von der Kranwinde herab. Rohde kriegt ihn zu fassen, richtet, justiert oder korrigiert die Lage, fühlt den Abstand zum benachbarten Pfahl, der in der Erde steckt. Das ist Knochenarbeit gegen den Widerstand der Wassermassen. Mehr Luftblasen blubbern nach oben, mehr Sauerstoff wird im Blut verbrannt. Stimmt die Position endlich, wird der Pfahl bis auf einen kleinen Rest metertief in die Erde „gerüttelt“. Das Kommando „Fertig“ folgt, der nächste Pfahl kommt aus dem Dunkel von oben.

Einen, zwei, manchmal drei Pfähle – sogenannte „Auftriebsanker“, die die Betonwanne gegen den Druck des Grundwassers in der Erde halten – kann Rohde pro Schicht schaffen. Dann muß er wieder an die Oberfläche. Langsam, wegen des Druckausgleichs. Für ihn steigt ein anderer ins Wasser: das geht die nächsten sechs Wochen so, Tag und Nacht, im Rhythmus einer Maschine.

Die insgesamt 21 Taucher der beiden Firmen aus Düsseldorf und dem niederländischen Haelen haben sich auf den zweiten Ponton einen kleinen Wohnwagen gehievt. Während es im Container neben dem Kran nach Eisen und Schmiere, Nässe und Schweiß muffelt, blubbert hier der Ofen. Tee und Kaffee dampft. Der Heidelberger Rohde, hockt dort neben den Kollegen aus Holland vom DCN-Team – alles alte Hasen im Unterwasserbetonieren. Rohde ist seit 30 Jahren dabei und hat unter Wasser Brückenpfeiler und Pumpwerke betoniert. Trotzdem ist der Daimlersee „Pionierarbeit“: Zum ersten Mal benutzen die Froschmänner einen neuen elastischen Stahlfaserbeton und tauchen dazu mitten in der Stadt. Alle im Team haben eine zweijährige Ausbildung hinter sich. Außerdem ist ein Handwerkerdiplom für den Job Voraussetzung.

In dem Betrieb von Chris Raymakers aus Holland geht es seit 1962 „runter“: Brückenfundamente in Maastricht, Amsterdam und Venlo wurden gegossen, U- Bahntunnel im Grundwasser in Brüssel und Rotterdam gebaut, Schleusen, Ölbohrtürme, Staumauern und Kraftwerksanlagen in Holland und der Schweiz unter Wasser angelegt. Nach dem Potsdamer Platz geht es weiter zu den nächsten Projekten. Die Truppe erinnert an einen Unterwasser- Wanderzirkus. 60.000 bis 100.000 Mark verdient ein Taucher pro Jahr. Was macht er damit? „Sporttauchen in der Freizeit jedenfalls nicht“, sagt Fred Lüttge.

Nach der Tauchaktion, bei der rund 2.000 Anker im märkischen Tiefsand vergraben werden, folgt das Unterwasserbetonieren. Auf einem Plan im Baubüro zeigt Hans-Joachim Jasinski, Chef der Düsseldorfer Rheintaucher GmbH, wie die gut ein Meter dicke Fundamentplatte für das Daimler Milliardending gegossen wird.

Jasinski saust mit der Hand über die Zeichnung. „Von den Pontons wird der Spezialbeton durch Röhren in die Grube gepumpt. Die Taucher pressen dabei das Rohr mit aller Macht auf den Boden, so daß das Beton-Stahlnadel-Gemisch herausquillt und sich nicht mit Wasser vermischt“.

Grazil wie Fische umschwimmen auf dem Plan die Taucher die Pumpen und Armierungsgitter, schweißen Stahlplatten in der Tiefe oder seilen sich auf und ab. „Nach zwei Wochen ist der Grund betoniert, die Wanne fertig und das Wasser kann abgepumpt werden“. Der Hochbau kann starten. Vorher müssen Rohde und Lüttge noch ein paarmal aus der Kälte in die Dunkelheit – „bei Temperaturen fast wie im Frühling“.